das triffts!

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Euphemismen in der politischen Sprache

> Militär und Verteidigung

Ach, vor eure in Dreck und Blut versunkene Karren
Haben wir noch immer unsere großen Wörter gespannt!
Euren Viehhof der Schlachten haben wir 'Feld der Ehre'
Eure Kanonen 'erzlippige Brüder' genannt.

(Bertolt Brecht, Lied der preiswerten Lyriker)1


Spätestens nach den zwei Weltkriegen ist das Wort Krieg in Verruf gekommen. Die Kriegsminister wurden nahezu überall in Verteidigungsminister umgewandelt, und ihre Kriegsministerien wurden zu Verteidigungsministerien. Im Französischen spricht man vom ministre de la défense, der im ministère de la défense arbeitet. In Großbritannien sitzt der Minister of Defence dem Ministry of Defence vor. In den Vereinigten Staaten wurde der Secretary of Defense eingeführt. Im National Security Act von 1947 wurde ebenfalls beschlossen, das Department of War abzuschaffen. Als Ersatz gründete man das Department of Defense, unter dessen Schirm die Ministerien der Army, Navy und Airforce arbeiten.

Niemand kann etwas gegen Verteidigung haben, und so ist es auch einfacher, das defense budget zu erhöhen, als Gelder für die Kriegführung zu bewilligen. Zwar besteht die Aufgabe der defense departments nach wie vor darin, Kriege vorzubereiten und notfalls auch zu führen, doch werden alle diese Anstrengungen unternommen for the cause of peace. Deshalb konnte der 1982 amtierende Senator John Tower bei der Indienststellung des Flugzeugträgers U.S.S. Carl Vinson, der mit Atomwaffen bestückt ist, erklären, daß die Aufgabe dieses neuen Kriegsschiffs darin bestünde, den Frieden zu fördern (to promote peace). Im Zusammenhang mit dem geplanten Bau einer Raumstation, die auch das Pentagon für die Forschung im Strategic Defense Initiative-Projekt (SDI), besser bekannt unter dem Begriff Star Wars, nutzen wollte, ließ die NASA 1986 verlautbaren: "We will limit our use of outer space for peaceful purposes. Our philosophy is that anything the United States does, including the Department of Defense, is in the name of peace." William Lutz weist zu Recht darauf hin, daß diese Aussage zum Antagonismus wird, wenn man das Wort defense durch war ersetzt.2

Die neue Terminologie um das Wort defense wurde eingeführt, als die Sowjetunion sich mit ihren Satellitenstaaten hinter den Eisernen Vorhang (iron curtain) zurückzog und die freie Welt (free world), d.h. alle Länder, die aus Sicht der westlichen Demokratien nicht unter kommunistischer Herrschaft standen, in den Kalten Krieg (cold war) verwickelte. Zur selben Zeit begann das Zeitalter der Atombomben und des atomaren Wettrüstens, das der Menschheit die Möglichkeit zur Selbstvernichtung in die Hand gab. Da diese Tatsache nicht allzu deutlich in das Bewußtsein der Bürger treten sollte, bemühte man sich um sprachliche Verhüllung:

Since the beginning of the nuclear age, vast efforts have been devoted to disguising the almost unbearable threat of human annihilation. Such efforts has raised euphemism to new heights, and it is significant that the multitudinous terms for nuclear strategies and techniques like deterrence and first strike capability never mention the word "nuclear" or the implied possibility of extinction.3

Mit first strike capability ist gemeint, daß eine Nation in der Lage ist, Atombomben einzusetzen. Besitzt diese Nation auch noch eine second strike capability, dann kann sie nach einem atomaren Überraschungsangriff zu einem Vergeltungsschlag ausholen - selbstverständlich mit Atomwaffen. Das Wort deterrent steht für Atom- und Wasserstoffbomben bzw. für ein Waffensystem, das einem feindlichen Angriff vorbeugt, weil der Angreifer mit einem vernichtenden Gegenschlag rechnen muß. Im Deutschen hat man hierfür die Bezeichnung Abschreckungswaffen gefunden. Um das auf der wechselseitig gesicherten Zerstörung basierende Abschreckungsprinzip zu benennen, kann man von doctrine of deterrence sprechen. Weniger elegant ist der Ausdruck mutual assured destruction, der deshalb in der Regel mit der Buchstabenkombination MAD abgekürzt wird. Bei diesem Akronym könnte man versucht sein zu glauben, ein Angehöriger der Force de Frappe habe sich in Selbstironie geübt. Doch das Konzept der deterrence wird allgemein für die wirksamste Methode gehalten, einen globalen Krieg zu verhindern. Sollte es trotzdem zu einem Atomkrieg, einem high-intensity warfare, kommen, ist mit einigen Hundert megadeaths zu rechnen, d.h. mit einigen Hundert Millionen Toten, und mit unacceptable damage, d.h. mit der Zerstörung einer Nation als lebensfähiger Industriegesellschaft. Dieses Szenario gehört allerdings zu den unthinkable thoughts, über die ungern diskutiert wird.

Die balance of terror - eine Formulierung, die der kanadische Ministerpräsident Lester Pearson im Jahr 1955 erstmals gebrauchte - stützt sich auf ein ansehnliches Waffenarsenal, das benannt werden muß. Viele englische Waffenbezeichnungen haben sich international durchgesetzt, weil Englisch auch die gemeinsame Sprache der Militärs ist. Vor allem in den Ländern, die zum NATO-Bündnis gehören, das von den Vereinigten Staaten dominiert wird, ist die englische Militärterminologie weit verbreitet. International bekannt sind zum Beispiel die Termini Cruise Missile, dessen deutsche Entsprechung der Marschflugkörper ist, und Ballistic Missile. Die Abkürzung ICBM bedeutet Intercontinental Ballistic Missile und INF steht für Intermediate Range Nuclear Forces. Im Deutschen sagt man dazu Mittelstreckenwaffen. Bekannt sind aber auch Akronyme wie SAM, FROG, HARMS, FOBS oder MIRV. Mit SAM werden Boden-Luft-Raketen (Surface to Air Missiles) abgekürzt. Das Akronym FROG steht für ungelenkte Boden-Boden-Raketen (Free Rocket Over Ground). HARMS bildet sich aus den Anfangsbuchstaben der Wörter High Speed Antiradiation Missile System und bezeichnet ein Raketensystem, das eine Strahlenquelle automatisch ansteuert. FOBS steht für Fractional Orbital Bombardment System. Damit sind Nuklearwaffen mit Sprengköpfen gemeint, die von einem auf einer Erdumlaufbahn kreisenden Satelliten zu einem Ziel auf der Erde dirigiert werden. Mit dem Akronym MIRV (Multiple Independently Targetable Reentry Vehicles) werden Raketen bezeichnet, die mehr als einen Sprengkopf tragen, wobei die einzelnen Sprengköpfe auf verschiedene Ziele programmiert werden können.

Neben Akronymen und Abkürzungen greifen Militärangehörige bei der Benennung von Waffen auch auf Personifikationen zurück. Äußerst zweifelhaften Ruhm errangen die Atombomben Little boy und Fat man, die die Amerikaner auf Hiroschima und Nagasaki abwarfen. Zumindest der Name Little boy ist außerdem eine Verniedlichung. Nach dem amerikanischen General John Joseph Pershing, der zum Ende des 1. Weltkriegs die amerikanischen Truppen in Frankreich führte, wurde die Atomrakete Pershing benannt. Jupiter diente als Namengeber für eine Flugabwehrrakete. Der griechische Meeresgott Poseidon stand Pate für ein U-Boot. Die zum Gefolge seines Vaters Poseidon gehörende Meeresgottheit Triton bezeichnet eine Rakete, ebenso wie Atlas, Bruder des Prometheus, auf dessen Schultern der Sage nach die Säulen ruhen, die Erde und Himmel auseinander halten. Mit der lateinischen Bezeichnung für den Polarstern wurde sowohl eine Mittelstreckenrakete mit nuklearen Sprengköpfen bedacht als auch die Polaris-U-Boote, von denen diese Mittelstreckenraketen gestartet werden.

Nicht nur die US-amerikanischen Militärs greifen zu dieser poetischen Namengebung für Waffen. Nach dem biblischen Jäger Nimrod benannten die britischen Militärangehörigen zum Beispiel einen Flugzeugtyp. Britische Flugzeuge heißen aber auch The Hawk oder The Tornado, während Panzertypen die Namen The Abbot, The Chieftain, Challenger, Conqueror, Centurion und Fox tragen. Deutsche Panzer sind unter der Bezeichnung Leopard, Gepard, Skorpion, Luchs und Fuchs bekannt. Für Hubschrauber wählte man Namen wie Cobra, Puma und Gazelle.

Mit der Benennung von Waffen nach Personen oder Tieren wird zum einen versucht, Lebenvernichtendes mit Lebendigem zu parallelisieren. Zum anderen sollen die Waffentypen mit Hilfe der Namen charakterisiert werden, da mit den Bezeichnungen bestimmte Eigenschaften wie Schnelligkeit, Gefährlichkeit oder List assoziiert werden. Auffällig ist in diesem Zusammenhang auch die Benennung von Waffen nach Naturereignissen. Flugzeuge werden zum Beispiel nicht nur Eagle, Hornet oder Fighting Falcon genannt, sondern auch Thunderbolt, Tornado, Hurricane oder Vulcan. International bekannt wurde außerdem die im Golfkrieg eingesetzte Skud-Rakete (= dt. Bö). Wie bei den Tiernamen soll über den Verweis auf Naturereignisse, die bisweilen katastrophale Ausmaße annehmen, eine Abschreckungswirkung erzielt werden. Hinzu tritt, wie Matthias Buschmann in seinem Aufsatz "Zur militärischen Onomastik und Terminologie" schreibt, die Strategie der Täterabgewandheit: "Für ein Naturereignis ist niemand verantwortlich zu machen, es geschieht unweigerlich. Krieg wird so zur unvermeidbaren Tatsache stilisiert."4

Die militärische Onomastik bedient sich weiterhin anachronistischer Bezeichnungen, die aus vergangenen Epochen kriegerischer Auseinandersetzungen bekannt sind. Namen wie Tomahawk oder Rapier (= Degen) für Atomwaffen sollen die Tatsache verschleiern helfen, daß es sich hier um technisch hochentwickelte und ebenso bedrohliche Massenvernichtungswaffen handelt. "Weitere, besonders krasse Beispiele," schreibt Matthias Buschmann, "sind die verharmlosende Benennung einer auch als Neutronenbombe verwendbaren Nuklearwaffe als Lance oder die Bagatellisierung eines Atomwaffenunfalls als broken arrow in der NATO-Terminologie." 5 Buschmann fährt fort:

Gern werden auch vermeintlich defensive Funktionen nuklearer Hochrüstung anachronistisch betont, etwa in Schild (vgl. missile destroying defense shield) oder Schirm, das ursprünglich auch den Schild des Kämpfers bezeichnet bzw. dessen Fellüberzug (vgl. scortum - Leder). Eine deutlichere Sprache spricht hier das englische Äquivalent nuclear umbrella. Hierher gehören auch defensive screen und roof of protection - wer denkt bei einem Gitter oder Dach schon an Massenvernichtungswaffen und Sternenkrieg)."6

Auch bei den Bezeichnungen für conventional weapons, also für nicht-nukleare Waffen, finden sich Anachronismen wie zum Beispiel der Name Trident (= Dreizack) für ein U-Boot oder Sentinel (= Wache) für einen Raketentyp. Doch besonders dann, wenn atomare Waffen oder deren Einsatz gemeint sind, gewinnen die anachronistischen Bezeichnungen an verschleiernder Wirkung. Bis auf den pre-emptive strike, der anstelle der Wörter "Überraschungsangriff" bzw. "Invasion" benutzt wird, ist ein strike, also ein Schlag (wie zum Beispiel im deutschen Erstschlag), fast immer mit dem Einsatz von Atomwaffen verbunden. Diese anachronistisch einzustufenden strikes können auf verschiedene, harmlos klingende Weise durchgeführt werden:

They may be COUNTERFORCE - attacks aimed at an enemy's missiles and military installations - or COUNTERVALUE - attacks aimed at an enemy's cities and industries. They may be SURGICAL, air attacks that supposedly obliterate only what they aim to obliterate, SELECTIVE (causing less than total devastation) or simply MASSIVE.7


Aus dem landwirtschaftlichen Bereich wurden die Wörter yield und silo entlehnt. Yield steht für die Sprengkraft einer Atomexplosion, ausgedrückt in Form von der Menge TNT, die zur Explosion gebracht werden müßte, um dieselbe Energie zu erzeuge.8 Silos, die normalerweise Getreide aufnehmen, sind in der militärischen Terminologie unterirdische Lagerplätze, die MX-Raketen beherbergen. MX-Raketen wiederum sind große, mit mehreren Sprengköpfen ausgerüstete Raketen, die ursprünglich zwischen verschiedenen (durch Tunnel verbundene) Abschußbasen heimlich hin- und herbewegt werden sollten.9 Dieses Verfahren bezeichnete Präsident Ronald Reagan im Jahr 1981 als racetracking. Da sich die delivery vehicles und delivery systems, d.h. die Raketen und Maschinen, mit denen Atomsprengköpfe und Atombomben transportiert werden, aber vielerorts nicht für den unterirdischen Verschiebebahnhof eigneten, blieben die meisten MX-Raketen in massiv verstärkten Abschußbasen, den sogenannten hardened silos.

Offensichtlich vertraut mit der militärischen Terminologie, gab der Systemanalytiker Earl Ravenal in einem in der New York Times am 4. Januar 1978 veröffentlichten Artikel folgende Beurteilung der MX-Raketen ab, die er mit einem Verweis auf eine Bemerkung belebte, die Senator Barry Goldwater im Jahr 1964 gemacht hatte:

Mobile or with multiple bases, it [MX] would carry up to fourteen 200-kiloton MIRV warheads to within 100 yards of their targets. That kind of accuracy could finally realize Senator Barry Goldwater's vision of lobbing a nuke right into the men's room of the Kremlin. But, combined with silo-busting yields, it would also make the MX a highly unnerving first-strike counterforce weapon.revolution.10


Im zweiten Satz benutzt Ravenal das Wort nuke. Nuke ist eine Verniedlichung, die im militärischen Jargon selten anzutreffen ist, und verkürzt den Ausdruck nuclear device, der wiederum ein Euphemismus für "Atombombe" ist. Gesteigert wird diese Verniedlichung durch mini-nuke - ein Euphemismus, der die von Militärs gepflegte Illusion befördert, daß es möglich sei, einen begrenzten Atomkrieg, einen sogenannten limited war, zu führen. Wie der synonym dazu gebrauchte Ausdruck tactical nuclear weapon, impliziert das Wort mini-nuke, daß es sich um eine kleine Bombe handelt. Doch ist dies nicht notwendigerweise der Fall, denn einige der mini-nukes haben eine Sprengkraft, die fünfmal stärker ist als jene Atombombe, die über Hiroshima abgeworfen wurde. Im wesentlichen unterscheiden sich die tactical nuclear weapons von den strategic nuclear weapons durch ihre Reichweite, können im Einzelfall aber größere Zerstörungen anrichten als die strategic weapons. Würden zum Beispiel nur zehn Prozent der in Europa stationierten tactical nuclear weapons zum Einsatz kommen, wäre das gesamte Gebiet, in dem ein massive exchange zu verzeichnen gewesen wäre, zerstört und verseucht. Mit ungewohnter Offenheit erklärte der ehemalige geschäftsführende Stellvertreter des amerikanischen Verteidigungsministers, Morton Halperin, im Jahr 1975 die Strategie, die mit den taktischen Atomwaffen verfolgt wird:

The NATO doctrine is that we will fight with conventional forces until we are losing, then we fight with tactical nuclear weapons until we are losing, and then we will blow up the world.11


Für die in Europa stationierten mini-nukes existiert außerdem noch der Ausdruck Theater Nuclear Forces. Hier allerdings tauchten Übersetzungsprobleme auf. Zunächst wurde Theater Nuclear Forces im Deutschen mit kriegsschauplatzgebundene Waffen wiedergegeben, bis sich herumsprach, daß mit dem Kriegsschauplatz Europa gemeint war. Daraufhin einigte man sich auf Waffen in und für Europa. 12 Sollte es aber trotz aller Vorkehrungen zum unthinkable 13 kommen und die Welt in einem all-out strategic exchange "in die Luft gesprengt werden", können - zumindest auf amerikanischer Seite - die Strategic Air Force, strategic submarines (wie die Polaris) und Langstreckenraketen bzw. strategic nuclear weapons, die mit strategic warheads bestückt sind, eingesetzt werden.

Atomwaffen enthalten Sprengladungen aus speziell angereichertem Kernsprengstoff, also aus special nuclear material. Zum einen unterteilt man in solche Waffen, die auf der Kernspaltung von Uran 235 oder Plutonium 239 beruhen. Dieses angereicherte Uran oder Plutonium muß in significant quantity zur Verfügung stehen, um eine Atombombe bauen zu können.14 Zum anderen unterteilt man in solche Waffen, bei denen eine Verschmelzung (Fusion) leichter Atomkerne (wie zum Beispiel Deuterium und Tritium) zu Helium eintritt. Diese Atomwaffen werden Wasserstoffbomben oder H-Bomben genannt. Am meisten Sprengkraft besitzen die sogenannten Dreiphasenbomben mit einem Zünder aus Uran 235, Lithiumdeuterid als Fusionsmaterial und Uran 238, das die größten Anteile der Explosions- und Strahlungsenergie liefert.

Wie gerade dargestellt wurde, ist Atomwaffe nicht gleich Atomwaffe, und so muß außerdem noch zwischen den devices (= Geräten) oder gadgets (= Vorrichtungen) unterschieden werden, die sowohl Menschen als auch Gebäude zerstören, und andererseits den Sprengkörpern, die lediglich Menschen töten, Gebäude in der näheren Umgebung aber stehen lassen. Diese als clean bomb bezeichneten Neutronenbomben15 haben einen hohen ordnance success,16 d.h. eine große zerstörerische Wirkung, und werden deshalb als radiation enhancement weapons oder enhanced radiation weapons klassifiziert. Der strategische "Vorteil" dieser Waffen mit verstärkter Strahlung ist, daß sie bei relativ reduzierter Spreng- und Hitzewirkung eine starke Neutronenstrahlung auslösen. 17 Dadurch bleibt das Gebiet der radioaktiven Verseuchung klein, und die Gebäude und andere Besitztümer bleiben weitgehend erhalten.

Nach fünfzehnjähriger Entwicklungszeit wollte das Verteidigungsministerium im Jahr 1977 mit der Produktion der radiation enhancement weapons beginnen. Aus diesem Grund ersuchte es den Kongreß, die für den Bau der so betitelten Waffen benötigten Gelder zu bewilligen. Kurz bevor die Kongreßmitglieder, deren Mehrheit sich - wie hinterher zu Tage kam - unter dem Begriff radiation enhancement wenig vorstellen konnte, die Mittel genehmigen wollten, enthüllte der Journalist Walter Pincus in der Washington Post, wie die Neutronenbombe auf Menschen wirkt und wie das Pentagon geplant hatte, sie zu benutzen. Daraufhin entschied sich der Kongreß gegen den Bau des atomaren Sprengsatzes und das Committee on Public Doublespeak verlieh dem Pentagon für die Bildung des Ausdrucks radiation enhancement weapon den Doublespeak Award des Jahres 1977. Das Komitee begründete seine Entscheidung unter anderem damit, daß mit dem Ausdruck verschleiert werde, welche Wirkung die Neutronenbombe auf das menschliche Nervensystem hat: "The body convulses, limbs shake, the nervous system fails so that all of the automatic body functions, even breathing, are affected. Death comes within forty-eight hours from respiratory failure or swelling of tissues in the brain."

Das Pentagon selbst beschrieb die Neutronenbombe als "an efficient nuclear weapon that eliminates an enemy within a minimum of damage to friendly territory". Damit war einerseits gemeint, daß die Menschen getötet, die Gebäude aber intakt bleiben. Andererseits kommt in der Formulierung zum Ausdruck, was ein Pentagon-Sprecher an anderer Stelle noch deutlicher sagte, nämlich: "We were going to use it over our own territory, if necessary." Da die Neutronenbombe nur in einem Radius von etwas über einem Kilometer Menschen umbringt, ging man im Pentagon davon aus, daß die eigenen oder die alliierten Soldaten im Umkreis der Einschlagstelle nicht zu Schaden kämen. Weiterhin nahm man an, daß die feindliche Besatzungsmacht rücksichtsvoll genug sein würde, die zivile Bevölkerung außerhalb des Radius unterzubringen.

Vier Jahre später, im Jahre 1981, entschied der Kongreß trotz allem, die Neutronenbombe bauen zu lassen, und das Pentagon entschied sich für den Namen enhanced radiation device. Wiederum ein Jahr später wurde im Weißen Haus beraten, wie man diese Mittelstreckenrakete nennen könnte, und entschied sich für den Namen Peacemaker. Später benutzte Präsident Ronald Reagan versehentlich den Ausdruck Peacekeeper. Diesen Namen hat die MX-Rakete bis heute behalten. 18

In den Vereinigten Staaten ist das Pentagon maßgeblich daran beteiligt, militärische Handlungen sprachlich neu zu interpretieren. Diesen Jargon, der auch als Pentagonese bezeichnet wird, definiert William Safire deshalb als "military-industrial jargon designed to provide its users with a convenient linguistic shorthand that often serves only to obfuscate the obvious, or to lend a sense of importance to routine communications". 19 Von allen Jargons ist das Pentagonese sowohl in der Regierungssprache als auch in der Öffentlichkeitssprache und in den Medien am weitesten verbreitet. Kurz dahinter folgt das sogenannte State-Departmentese, dessen Vokabular im wesentlichen aus dem des Verteidigungsministeriums gespeist wird.

Abgesehen von dem Unverständnis, das den Außenstehenden in der Regel befällt, wenn er mit Jargons konfrontiert wird, schafft der Gebrauch dieser Sondersprachen ein Gefühl von Zugehörigkeit und Bedeutsamkeit. Diese Begleiterscheinung verleitet Sprecher eher dazu, in der Öffentlichkeit verklausuliert zu sprechen, als den Mißbrauch von Jargons zu vermeiden. Ironisch merkt William Safire an, daß, hätten Experten des Pentagon die Gettysburg-Ansprache in die Hände bekommen, der Satz "We are now engaged in a great civil war" geändert worden wäre in "We have entered upon a period of civil uncertainty involving fairly high mobilization".20

In der Tat haben die Vereinigten Staaten - wie auch die übrigen demokratischen Staaten - seit Umbenennung des Department of War in Department of Defense keine Kriege mehr geführt. Während die einfachen Soldaten früher für Ruhm, Ehre und Vaterland kämpften und die Staatsoberhäupter für mehr Macht und größere Staatsgebiete, wird heutzutage für die Freiheit, für die Herstellung einer demokratischen Staatsform und den Erhalt des Friedens gekämpft - kurz, für das Ideal einer new world order, das seit der Amtszeit des amerikanischen Präsidenten George Bush wieder beschworen wird. Daß dieses Schlagwort, unter dem sich jeder, der es benutzt oder hört, etwas anderes vorstellen kann, so häufig von amerikanischen Politikern, Amtsträgern und Journalisten zitiert wird, hängt mit dem in keiner anderen Nation so stark empfundenen Gefühl zusammen, als weltweiter Wächter der Menschenrechte auftreten zu müssen. Da die Vereinigten Staaten aufgrund dieses Selbstverständnisses häufig Aufgaben übernommen haben, die jedenfalls zum Teil den Vereinten Nationen zugedacht waren, und militärische Berater, Waffen und Truppen in Länder schickten, die sich entweder im Bürgerkrieg befanden, annektiert worden waren oder in den Einflußbereich der Sowjetunion zu geraten drohten, wurden und werden die Amerikaner auch als the world's police oder policeman of the world bezeichnet.

Werden diese Ausdrücke benutzt, wird meist unterstellt, die Vereinigten Staaten beabsichtigten, eine pax Americana zu errichten. Damit wiederum wird auf die im 19. Jahrhundert unter der Mandatsherrschaft des Britischen Empires aufgezwungene pax Britannica angespielt, die sich ableitet von dem lateinischen Begriff pax Romana. Wörtlich genommen bedeutet pax Americana "American peace" und beinhaltet sowohl die willkommene Friedenssicherung als auch die unwillkommene Vorherrschaft einer Supermacht. Der Begriff tauchte erstmals 1967 in den Printmedien auf. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Vereinigten Staaten bereits von der policy of containment (= Politik der Eindämmung des Ostblocks) abgewandt und für die policy of roll back (= Politik der Zurückdrängung) entschieden und ihren Führungsanspruch im Koreakrieg (1950-1953), in der Kubakrise (1962) und im langsam eskalierenden Vietnamkrieg (1960-1973) angemeldet.

Es ist bemerkenswert, daß die Vereinigten Staaten im Juni 1950 zwar Streitkräfte nach Südkorea entsandten und die aufgestellten UN-Truppen befehligten, aber offiziell keinen Krieg, sondern eine police action führten. Auch die bewaffneten Kampfhandlungen in Vietnam erschienen den meisten Menschen als Krieg. Doch wie im Korean conflict21 wurde vom amerikanischen Kongreß formal nie eine Kriegserklärung ausgesprochen, so daß der Einsatz amerikanischer Streitkräfte als Accelerated Pacification Campaign, als pacification oder protective reaction bezeichnet wurde. Dementsprechend hielten sich in Vietnam auch keine Soldaten auf, sondern military advisers und pacification workers. Während der Vietnam era - einer Ära militärischer Auseinandersetzungen, an denen die Vereinigten Staaten immerhin dreizehn Jahre beteiligt waren - kämpften amerikanische Bodentruppen auch in Kambodscha und ließen Patrouillen unerlaubterweise weit in das Gebiet von Laos eindringen. Diese Soldaten wurden stark verschleiernd als intelligence gathering units bezeichnet. In Anspielung auf den Euphemismus erschien am 16. Februar 1971 im Christian Science Monitor daher eine Karikatur, in der ein erstaunter US-Soldat einem anderen an der laotischen Grenze mitteilt: "There're no U.S. ground combat troups, but newsmen ... hundreds of newsmen."22

Protective reaction, pacification, Vietnam era, military advisers, intelligence gathering units - diese verschleiernden Euphemismen werden ergänzt durch Namen wie the Ranch Hands für die Sondereinheit der Air Force, die mit dem hochgiftigen Schädlingsbekämpfungsmittel Agent Orange die vietnamesischen Wälder "entlaubte",23 und Ausdrücke wie selective ordnance für Napalm oder reconnaissance in force, das die militärische Praxis umschreibt, ein Gelände abzusuchen und mutmaßliche Feinde zu erschießen. Anstelle von reconnaissance in force können auch die Wendungen search and clear, search and sweep oder sweeping operation benutzt werden. Eine sweeping operation kann außerdem H and I enthalten, was Harrassment and Interdiction abkürzt und für nächtliche Schießübungen steht, die mögliche Gegner von Kampfhandlungen abhalten sollen. Bekannt wurde auch der Ausdruck waste, der von Oberleutnant William Calley im Zusammenhang mit der Vernichtung des Dorfs My Lai gebraucht wurde und "kill" bedeutet. Der Oberleutnant, der aufgrund des Massakers zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde, gab zu Protokoll: "We were ordered to waste all the villagers."24

Insgesamt hat die militärische Intervention in Vietnam eine reichhaltige Sammlung von verdunkelnden, täuschenden und verschleiernden Begriffen hervorgebracht, mit denen die amerikanische Regierung versuchte, die eigene Bevölkerung zu desinformieren. Deshalb schreibt der Journalist Henry S. Commager:

Corruption of language is a special form of deception which [U.S. President Richard Nixon's] administration (...) has brought to a high level of perfection. Bombing is 'protective reaction,' precision bombing is 'surgical strikes, 'concentration camps are 'pacification centers' or 'refugee camps.' (...) Bombs dropped outside the target area are 'incontinent ordnance,' and those dropped on one of your own [i.e. allied] villages are excused as 'friendly fire'; a bombed house becomes automatically a 'military structure' and a lowly sampan sunk on the waterfront a 'waterborne logistic craft.'25


Doch euphemistische Umschreibungen wurden nicht nur für den Korea- und Vietnamkrieg entwickelt. Um das Wort war zu vermeiden, wird von escalations, local operations, local hostilities, confrontations, border incidents oder low-intensity conflicts gesprochen. Amerikas Einsatz in Grenada wurde als rescue mission und pre-dawn vertical insertion verkleidet. Invasionen werden zu incursions. Angriffskriege werden zu pre-emptive strikes. To take an initiative oder to take a limited aggressive action wird im britischen Englisch bevorzugt. Briten und Amerikaner sprechen in diesem Zusammenhang aber auch von preventive actions oder preventive wars. Unter active defensehat man sich ebenfalls eine Offensive vorzustellen. So bezeichnete zum Beispiel Israels Premierminister Menachem Begin im März 1978 den Einmarsch israelischer Truppen in den Libanon. Die Sowjetunion stand diesem Sprachgebrauch in nichts nach. Zerstörte die Rote Armee gewaltsam Demokratisierungstendenzen in einem sozialistischen Staat - wie 1968 in der Tschechoslowakei -, sprach man von Bruderhilfe.

Jüngstes Beispiel für den erfolgreichen Einsatz von doublespeak, um die Wahrnehmung von Ereignissen zu manipulieren, ist die "Operation" am Golf, die mit dem Namen Desert Storm versehen wurde. Die Operation Desert Storm dauerte dreiundvierzig Tage - von der Nacht auf den 17. Januar bis zum 27. Februar 1991 - und war die erste international geführte militärische Auseinandersetzung seit der Auflösung des sowjetischen Machtimperiums. Im Golfkrieg, der von der UNO sanktioniert worden war, kämpften 675 000 Soldaten aus achtundzwanzig Ländern, die praktisch unter US-Kommando standen, gegen 1,1 Millionen irakische Soldaten. Ausgelöst wurde der Krieg durch den Einmarsch irakischer Truppen in Kuwait, wodurch der Irak bei fortdauernder Okkupation in den Besitz von zwanzig Prozent der Weltvorräte an Erdöl gekommen wäre. Aus diesem Grund behaupten kritische Stimmen auch, daß es weniger um die Verteidigung des Völkerrechts und die liberation of Kuwait ging als um die Sicherung ökonomischer Interessen, die durch die Großmachtbestrebungen des irakischen Diktators Saddam Hussein in Gefahr zu geraten drohten.

Für diese Einschätzung spricht, daß Saddam Hussein bis zum Überfall auf Kuwait als einer unter vielen nahöstlichen Despoten angesehen wurde, der zwar die Menschenrechte verletzte und chemische Waffen gegen seine politischen Gegner einsetzte, aber aufgrund seiner Bereitschaft, gegen den Iran Krieg zu führen, von drei aufeinanderfolgenden amerikanischen Regierungen unterstützt wurde. Nachdem vor allem die Vereinigten Staaten dem Irak über Jahre hinweg beim massiven Aufrüsten geholfen hatten und die US-Botschafterin in Bagdad, April Glaspie, noch eine Woche vor dem Überfall auf Kuwait Saddam Hussein zu verstehen gegeben hatte, daß die USA bei einem Konflikt zwischen Irak und Kuwait nicht intervenieren würden, 26 erklärte die amerikanische Regierung unter Präsident George Bush den Diktator nach der Okkupation Kuwaits zur Persona non grata und stellte Hussein als teuflisches Gegenstück zu Adolf Hitler hin. Diese Kehrtwendung läßt vermuten, daß der irakische Diktator einerseits zuviel Eigenwilligkeit bewiesen hatte, die für die Vereinigten Staaten und andere Länder nicht länger hinnehmbar war, und andererseits zu einer Invasion ermuntert worden war, die anschließend einen Vorwand für die Zerstörung seiner militärischen Macht lieferte. Über die nachfolgende Manipulation der öffentlichen Meinung in Amerika urteilt der Journalist John R. MacArthur:

Convincing Americans to fight a war to liberate a tiny Arab sheikhdom ruled by a family oligarchy would require the demonization of Hussein in ways never contemplated by human rights groups. It called for a frontal assault on public opinion such as had not been seen since the Spanish-American War.27


Zu diesem "Frontalangriff auf die öffentliche Meinung" gehörte auch die Schilderung, daß irakische Soldaten dreihundertzwölf Babys aus ihren Brutkästen genommen und auf dem Fußboden des Krankenhauses von Kuwait-Stadt hätten sterben lassen, um die Brutkästen in den Irak zu schaffen. Diese Meldung erschien erstmals am 5. September 1990 im Londoner Daily Telegraph, wurde von der Los Angeles Times zwei Tage später ungeprüft aufgegriffen und endgültig zur Tatsache befördert, als am 10. Oktober 1990 ein fünfzehnjähriges kuwaitisches Mädchen namens Nayirah vor dem amerikanischen Kongreß aussagte, es habe gesehen, wie irakische Soldaten Babys aus Brutkästen nahmen und sterben ließen. 28 Wie sich später herausstellte, war das Mädchen die Tochter des kuwaitischen Botschafters in den Vereinigten Staaten und Hauptakteurin einer 10 Millionen-Dollar-Werbekampagne der Agentur Hill & Knowlton, die zum Krieg aufhetzte.29 Obwohl die Geschichte nicht überprüft wurde und im nachhinein auch nicht verifiziert werden konnte, übte sie einen großen Einfluß auf die amerikanischen Bürger aus, bei denen Babymord nach Meinungsumfragen die größten Aversionen hervorrief.30

Die Propagandageschichte vom Babymord war nicht das einzige Beispiel für lancierte Falschmeldungen. Doch abgesehen von der gigantisch angelegten Werbekampagne, war der Golfkrieg auch der erste größere Konflikt dieses Jahrhunderts, "where the policy was to confine reporters to escorted pools that sharply curtailed when and how they could talk to the troops". So urteilt die Times über die Zensurbemühungen der alliierten Streitkräfte, und die Bestimmungen für die Medienberichterstattung, die im Annex Foxtrot festgelegt und von den Militärs während der Operation Wüstensturm strikt befolgt wurden, bestätigen diese Aussage.31

Im Pentagon hatte man aus den Fehlern des Vietnamkriegs offenkundig gelernt und folgte General Westmorelands Empfehlung, die Kriegsberichterstattung zu zensieren.32 Zu den Zensurmaßnahmen gehörte auch, daß die vor Ort berichtenden Journalisten ständig von militärischen Presseoffizieren begleitet und von den Kampfgebieten ferngehalten wurden. Dies belegt u.a. eine Besprechung zwischen dem Sprecher des Pentagons, Pete Williams, und dessen Untergebenen beim U.S. Central Command's Joint Information Bureau in Dhahran (Saudi-Arabien), von dem ein Bandmitschnitt beschafft werden konnte. In diesem am 12. Januar 1991 geführten Gespräch äußerte Williams: "You're the one who keeps [journalists] out of areas they shouldn't be [in] ... Your job is to get them to where the action is, make sure they get moving, be the housemother to them, and the den mother ..." 33

In diesem Krieg wurden die Medien von vornherein als Forum der Manipulation mißbraucht und haben sich als solches mißbrauchen lassen. Die Verschleierung von Fakten, die Lancierung von Falschmeldungen und die in der Geschichte der Kriegsberichterstattung bisher nie erreichte Pressezensur haben mit dazu beigetragen, daß der Golfkrieg im nachhinein auch "Schlacht der Lügen" genannt wurde. 34 Der Weltöffentlichkeit, und besonders der amerikanischen Öffentlichkeit, wurden die militärischen Auseinandersetzungen als sauberer Krieg verkauft. Doch dem Zuschauer am Fernsehgerät erschloß sich der Golfkrieg nur als elektronisches Verwirrspiel, das darüber hinwegtäuschte, daß in Wirklichkeit ein schmutziger Krieg mit einem vernichtenden Flächenbombardement geführt wurde. Zwar ist es kein neues Phänomen, daß Kriegsgreuel verklärt und die Menschen im Unklaren darüber gelassen werden, was tatsächlich geschieht, doch der Golfkrieg ist ein Musterbeispiel für die Manipulation der öffentlichen Meinung unter Ausnutzung der elektronischen Medien.

Zwangsläufig wird diese Meinungsbeeinflussung von einer Vielzahl von Euphemismen begleitet. 35 So flogen die Alliierten Truppen unter Leitung der US-amerikanischen Armee in diesem gerechten Krieg (just war) zum Beispiel keine Bombenangriffe, sondern führten surgical strikes durch. Die präzisen, computergesteuerten und beinahe klinisch sauberen Eingriffe (pre-planned targeting) kosteten keinen Zivilisten das Leben. Zu beklagen waren allerdings collateral damages, und während Amateurfunker die Schreie sterbender irakischer Soldaten vernahmen, bedienten die Alliierten Truppen gerade ihre Zielobjekte. Der englische Ausdruck ist servicing the target. Unverblümt setzt sich der Kulturkritiker Robert Hughes mit diesen verschlüsselten Verharmlosungen auseinander:

Im Golfkrieg, als die amerikanischen Militärs mitteilen wollten, daß sie einen Wüstenstreifen so platt gebombt hatten, daß dort kein Skorpion mehr überlebt hätte, da hieß das bloß "einen Ort besuchen" [visit a site]. Wenn man denselben Ort noch ein zweites Mal zusammenbombte, sagten die Militärs, man habe den Ort noch einmal besucht [revisiting a site].36


Am Endes des Krieges hatte die US-amerikanische Armee einhundertachtundvierzig tote Soldaten zu beklagen, wovon fünfunddreißig unter die Kategorie friendly casualties fielen. Diese Soldaten wurden durch accidental delivery of ordnance equipment getötet. Zweiundsiebzig Verwundete, die zum Teil mit traumatic amputations nach Hause geschickt wurden, zogen sich ihre Verletzungen durch friendly fire zu: sie wurden von der eigenen Seite beschossen.37 Ebenfalls unter der Überschrift "Friendly Fire" berichtete die Wochenzeitschrift Time im Mai 1992, daß auch neun britische Soldaten durch amerikanische A 10 Fighter getötet wurden. Die mit der Klärung der Ereignisse beauftragte britische Jury erklärte, daß die zwei US-Piloten grob fahrlässig gehandelt hätten und sprach von "unfriendly fire", verzichtete aber auf Strafverfolgung. Das Pentagon hatte bei der Untersuchung die Zusammenarbeit verweigert.38

Verläßliche Angaben zu den Opfern des Krieges auf irakischer Seite gibt es bis heute nicht.39 Pete Williams, der Sprecher des Pentagons, bezifferte die Zahl der irakischen Gefallenen auf vierhundertsiebenundfünfzig, von denen man wisse, daß sie von amerikanischen Militärs begraben wurden. An dieser Zahl hielt Williams fest, bis die Zeitung Newsday am 24. Juni 1991 enthüllte, daß drei Brigaden der 1. Infanteriedivision beim Überqueren der Grenze zwischen Saudi-Arabien und Irak mit Hilfe von Räumschilden und Erdbewegungsmaschinen Hunderte, möglicherweise auch über tausend irakische Soldaten, buchstäblich bei lebendigem Leibe begraben hatten. 40 Ungleich höher als die Schätzung des Pentagons liegt die Schätzung der Defense Intelligence Agency (DIA), des militärischen Nachrichtendienstes, der von 100 000 Toten und 300 000 Verwundeten auf irakischer Seite spricht. Die BBC vermutet, daß 30 000 irakische Soldaten gefallen und 50 000 verwundet wurden.41 Von Seiten des Iraks liegen bisher keine Angaben zu den Kriegsopfern vor.

Wie George Orwell in seinem Essay Politics and the English Language hervorhob, ist die Sprache der Politik bisweilen gleichzusetzen mit "the defense of the indefensible". Ganz treffend ist diese Formulierung nicht, denn fast alle politischen und militärischen Entscheidungen lassen sich rational begründen, in manchen Fällen allerdings nur mit Argumenten, "which are too brutal for most people to face, and which do not square with the professed aims of political parties".42 Um diesen Zusatz erweiterte Orwell deshalb auch seine Charakterisierung der politischen Sprache als "the defense of the indefensible".

Die auf den letzten Seiten angeführten Beispiele belegen, daß die politischen Euphemismen der heutigen Zeit äußerst selten durch Tabudruck motiviert werden. Euphemismen, die dem doublespeak zuzurechnen sind, helfen, Probleme zu kaschieren, unangenehme Tatsachen zu verdecken und Widersprüche zu verbergen. Sie sind darauf angelegt, irrezuführen und von den wahren Sachverhalten abzulenken. Doppelzüngige Euphemismen vermeiden es, "das Kind beim Namen zu nennen", und spielen Versteck mit der Wirklichkeit.

Anmerkungen

1

Brecht, Bertolt, "Lied der preiswerten Lyriker", in: Die Gedichte von Bertold Brecht in einem Band, 1993, S. 485. [zurück]

2

Siehe dazu: Lutz, William, Doublespeak, 1990, S. 170. [zurück]

3

Neaman, Judith S., Silver, Carole G., In Other Words. A Thesaurus of Euphemisms, 1991, S. 336-337. [zurück]

4

Buschmann, Matthias, "Zur militärischen Onomastik und Terminologie", in: Muttersprache, September 1995 (3/95), S. 216. [zurück]

5

Buschmann, in: Muttersprache, September 1995 (3/95), S. 217. [zurück]

6

Buschmann, in: Muttersprache, September 1995 (3/95), S. 217. [[zurück]

7

Neaman, Silver, 1991, S. 359. [zurück]

8

Die Sprengenergie der Atomwaffen wird weltweit im Vergleich mit herkömmlichen Sprengstoff angegeben: 1 Kilotonne (kt) entspricht dem Energieinhalt von 1000 t Trinitrotoluol (TNT); 1 Megatonne (Mt) = 1 000 000 t TNT. [zurück]

9

Im World Book Dictionary wird unter dem Eintrag MX folgendes Zitat aus der New York Times angeführt: "Each huge 'MX' (meaning 'missile, experimental') and its launching crew would travel through a concrete tunnel a dozen miles or so in length. It would, when launched, burst through the surface at some surprise spot." (Siehe dazu: Barnhart, Clarence and Robert, World Book Dictionary, 1989, Bd. 2, S. 1374, Spalte 3.) [zurück]

10

Ravenal, Earl, "On the Need for Self-Restraint", in: New York Times, 04.01.1978, S. A 19. [zurück]

11

Halperin, Morton, in: The Defense Monitor, 2/75. Zitiert nach: Rawson, Hugh, A Dictionary of Euphemisms and Other Doubletalk, 1981, S. 276. Im Deutschen heißt diese NATO-Strategie die Triaden-Strategie. Sie wurde im Rahmen der Strategie der flexiblen Reaktion entwickelt und enthält drei Komponenten (konventionelle, nuklear-taktische und nuklear-strategische Waffen), die einzeln oder im Verbund eingesetzt werden. [zurück]

12

Siehe dazu: Buschmann, in: Muttersprache, September 1995 (3/95), S. 215. [zurück]

13

Unter dem Eintrag unthinkable erklärt Hugh Rawson: "Since anything the mind conceives is 'thinkable,' the grotesque 'unthinkable' actually is an interior contradiction. If the term has any meaning at all, it is as a shorthand description of thoughts of things that are so numerous or so nebulous that the mind is unable to fully grasp them. (...) Its present popularity is due to the unthinkable thoughts (On Thermonuclear War, 1959, and Thinking about the Unthinkable, 1962) of Herman Kahn (...). After thinking about it in excruciating detail, Kahn decided that thermonuclear war was tolerable (...), a judgement that most lesser minds felt was immoral as well as wrongheaded." (Rawson, 1981, S. 295.) [zurück]

14

Bei der Aufbereitung dieses special nuclear materials kann es passieren, daß Uran oder Plutonium verschwindet. Dann wird das euphemistische Akronym MUF verwendet, das für "Materials Unaccounted For" steht. Hugh Rawson schreibt hierzu: "Processing operations inevitably result in some MUF, but it is possible that thieves also have been at work. In 1977, the federal government said that some 8,000 pounds of highly enriched uranium and plutonium seem to have been lost in some way over the years. To make a bomb, perhaps a thousandth of this amount would be required." (Rawson, 1981, S. 188.) [zurück]

15

Eine Neutronenbombe ist im Prinzip eine kleine Wasserstoffbombe, die durch eine noch kleinere Plutoniumbombe gezündet wird. Die Zündung einer Wasserstoffbombe erfordert, laut Brockhaus Enzyklopädie, "kinetische Energien der Teilchen von mehreren tausend Elektronenvolt, was Temperaturen von mehr als 100 Mill. °C entspricht. Diese Temperaturen müssen durch den Zündungsmechanismus erreicht werden, d.h. entweder durch nukleare Sprengkörper (Kernspaltungsbomben) oder durch konvergente Stoßwellen chemischer Explosionen. Letzteres führt zur >>sauberen> Bombe mit nur geringen radioaktiven Rückständen." (Brockhaus Enzyklopädie in zwanzig Bänden, 1974, Bd. 20, S. 68, Spalte 1.) [zurück]

16

Ordnance ist ein antiquiertes Wort für "military materials, stores or supplies". Siehe dazu: Neaman, Silver, 1991, S. 350. [zurück]

17

Im Gegensatz zu einer mittleren Kernwaffe (50 Kilotonnen) der bekannten Typen, bei der die stark zerstörende Wirkung der Druckwelle (bezogen auf den zivilen Bereich) bis zu einem Abstand von rund zwei Kilometern reicht, ist die zerstörende Wirkung der 1-KT-Neutronenbombe auf etwa 0,3 Kilometer begrenzt. Ihrer tödliche Strahlungswirkung reicht bis zu etwa 1200 Metern. Im Zentrum bewirkt die Strahlendosis Kampfunfähigkeit innerhalb weniger Minuten und führt innerhalb eines Tages zum Tod. In einem Kilometer Abstand bewirkt sie Kampfunfähigkeit innerhalb von ein bis drei Stunden und führt in drei bis fünfzehn Tagen zum Tod. (Siehe dazu: Meyers Enzyklopädisches Lexikon. Jahrbuch 1980, 1980, S. 197, Spalte 1.) [zurück]

18

Die Belegstellen für die Zitate in den letzten zwei Absätzen finden sich bei: Lutz, 1990, S. 190-191.[zurück]

19

Safire, William, Safire's New Political Dictionary. The Definitive Guide to the New Language of Politics, 1993, S. 568, Spalte 2. [zurück]

20

Safire, 1993, S. 568, Spalte 2. [zurück]

21

Präsident Truman hatte nachdrücklich darauf bestanden, daß der Koreakrieg kein Krieg sei. Damit die Veteranen der amerikanischen police action in Korea trotzdem in den Genuß ihrer Bezüge kommen konnten, entschied man sich im nachhinein vom Korean conflict zu sprechen. [zurück]

22

In: Christian Science Monitor, 16.02.1971. Zitiert nach: Leinfellner, Elisabeth, Der Euphemismus in der politischen Sprache, 1971, S. 124. [zurück]

23

Das auch als defoliating agent bezeichnete Herbizid verhilft Bäumen, Büschen und anderen Pflanzen dazu, ihre Blätter vorzeitig abzuwerfen und unterstützt dadurch militärische Operationen. So zumindest erklärt das vom Pentagon herausgegebene Handbuch Dictionary of Military and Associated Terms die Aufgabe der Entlaubungsmittel. Dabei wird allerdings vergessen zu sagen, daß das Herbizid auch andere Lebewesen vernichtet und eine bleibende Verwüstung des "entlaubten" Geländes erreicht wird. [zurück]

24

Siehe dazu: Safire, 1993, S. 843, Spalte 2. [zurück]

25

Commager, Henry Steele, "The Defeat of America", in: The New York Review of Books, 05.10.1972, S. 11. [zurück]

26

Auch noch zwei Tage vor dem Einmarsch des Irak in Kuwait bekundete der stellvertretende Außenminister John Kelly vor dem amerikanischen Kongreß, "that the US was not committed to defend Kuwait". (Siehe dazu: The Guardian, 07.01.1991, S. 21. Zitiert in: Bohlen, Andreas, Die sanfte Offensive. Untersuchungen zur Verwendung politischer Euphemismen in britischen und amerikanischen Printmedien bei der Berichterstattung über den Golfkrieg im Spannungsfeld zwischen Verwendung und Missbrauch der Sprache, 1994, S. 148.) [zurück]

27

MacArthur, Second Front. Censorship and Propaganda in the Gulf War, 1993, S. 41-42. [zurück]

28

Diese Anhörung des Arbeitskreises für Menschenrechte vor dem Kongreß wurde auf CNN übertragen. [zurück]

29

Kurz nach der irakischen Besetzung gründete die ins Ausland geflohene kuwaitische Elite die Vereinigung Citizens for a Free Kuwait. Diese Vereinigung engagierte die Agentur Hill & Knowlton, eine der größten Public-Relations-Firmen Amerikas, die über ausgesprochen gute politische Beziehungen verfügt. Insgesamt waren einhundertneunzehn Hill & Knowlton-Vertreter in zwölf über die Vereinigten Staaten verteilten Büros für Kuwait und die Werbekampagne gegen Saddam Hussein tätig. [zurück]

30

Detaillierte Ausführungen hierzu finden sich u.a. bei: MacArthur, John R., Second Front. Censorship and Propaganda in the Gulf War,1993, S. 37 ff.. [zurück]

31

Siehe dazu: MacArthur, 1993, S. 7. [zurück]

32

General Westmoreland hatte 1982 gefordert, daß die Medien bei zukünftigen Kriegen, in die die Vereinigten Staaten involviert seien, zensiert werden müßten. Westmoreland begründete dieses Anliegen mit den Worten: "Without censorship things can get terribly confused in the public mind." Siehe dazu: Lutz, William, Doublespeak, 1990, S. 181-182. [zurück]

33

Siehe dazu: MacArthur, 1993, S. 19-20.[zurück]]

34

Weiterführende Informationen hierzu: MacArthur, Second Front. Censorship and Propaganda in the Gulf War, 1992; Sifry, Micah L., Cerf, Christopher (Hrsg.), The Gulf War Reader. History, Documents, Opinions, 1991; Mueller, John, Policy and Opinion in the Gulf War, 1994; Atkinson, Rick, Crusade: The Untold Story of the Persian Gulf War, 1993; Whicker, Marcia Lynn (Hrsg.), The Presidency and the Persian Gulf War, 1993; Hybel, Alex Roberto, Power over Rationality: The Bush Administration and the Gulf Crisis, 1993; Beham, Mira, Kriegstrommeln. Medien, Krieg und Politik, 1996. [[zurück]

35

Die Verwendung von Euphemismen in britischen und amerikanischen Printmedien bei der Berichterstattung über den Golfkrieg untersucht Andreas Bohlen in seinem 1994 erschienenen Buch Die sanfte Offensive. Für weitere Beispiele siehe u.a.: Quarterly Review of Doublespeak, Januar 1992, S. 2. [zurück]

36

Interview in: Weltjournal, ausgestrahlt auf: N3, 16.02.1995, 22.05-22.50 Uhr. [zurück]

37

Mit dreiundzwanzig Prozent der Toten und fünfzehn Prozent der Verwundeten liegt der Anteil von Amerikanern, die während des Golfkriegs von der eigenen Seite bombardiert wurden, außerordentlich hoch. Siehe dazu: MacArthur, John R., Second Front. Censorship and Propaganda in the Gulf War, 1993, S. 148. Weiterhin: Van Voorst, Bruce, "They Didn't Have to Die", in: Time, 26.08.1991, S. 20 und Thompson, Mark, "So, Who's to Blame?", in: Time, 03.07.1995, S. 27. [zurück]

38

Siehe dazu: "Friendly Fire", in: Time, 25.05.1992, S. 13 und 01.06.1992, S. 32. [zurück]

39

Siehe dazu u.a.: Heidenreich, John G., "The Gulf War: How Many Iraqi Died?", in: Foreign Policy, Spring 1993, S. 108 ff.. [zurück]

40

Die Army mußte diesen Bericht von Newsday über die verschütteten Soldaten bestätigen, spielte die Zahl derer, die erstickt waren, aber herunter und sprach von "Einzelfällen". Falls sich Pete Williams Angabe von 457 toten irakischen Soldaten, die er in einem Interview mit dem Journalisten John MacArthur bestätigte und mit dem Satz "That's the number that we buried" begleitete, auf die von den Erdbewegungsmaschinen begrabenen Soldaten bezog, ist diese Aussage an Zynismus nicht zu überbieten. (Siehe dazu: MacArthur, 1993, S. 201 ff. und S. 255.)[zurück]

41

MacArthur, John R., Second Front. Censorship and Propaganda in the Gulf War, 1993, S. 255 ff..[zurück]

42

Orwell, George, "Politics and the English Language", in: Orwell, George, The Penguin Essays of George Orwell, 1994, S. 356. [zurück]




 
 

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