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Political Correctness

> Sprachreform und Euphemismus

Mit den an US-amerikanischen Hochschulen erlassenen Verhaltens- und Sprachkodizes wird einerseits das Ziel verfolgt, Verbalinjurien zu unterdrücken, anderseits wird versucht, eine feinfühligere Terminologie zu etablieren. Um die sogenannte hate speech zu verhindern, darf nach Meinung vieler PC-Anhänger auch sozialer Druck auf die "Delinquenten" ausgeübt werden. Dieser Druck besteht in der Regel aus Buh-Rufen, Pfiffen und Bezichtigungen wegen rassistischen oder sexistischen Verhaltens. Auffällig ist hierbei der unterschiedslose Gebrauch von Schimpfwörtern wie racist, sexist und homophobic. Robert Hughes spricht in diesem Zusammenhang davon, daß ein Mensch mit begrenzten sprachlichen Möglichkeiten oder einer Sprache, die ausschließlich Werkzeug einer Ideologie ist, in Streßsituationen nach dem emotionsgeladensten Wort greift, das er finden kann.1 Allerdings führt die vorschnelle Verwendung solch emotionsgeladener Wörter - zu denen racist und sexist fraglos zählen - zu einem Bedeutungsverlust dieses Vorwurfs. Der ursprüngliche Bedeutungskern spielt kaum noch eine Rolle, so daß in der Folge echte Rassisten oder Sexisten nicht mehr von vermeintlichen zu unterscheiden sind. Bedenklich ist außerdem, daß derartige Bezichtigungen in aller Regel nicht eingesetzt werden, um einzelne Gedanken, Ideen oder Ansichten, die man für verwerflich hält, zu kritisieren, sondern um eine Person im Ganzen zu diskreditieren. So bemerkt zum Beispiel Jonathan Rauch:

It is appropriate and entirely right to criticize propositions which we believe are false or immoral. But nowadays what you hear is less often a criticism of the proposition than of the person. We condemn not racism in particular but 'racists' - whole human beings. A single offensive statement and you are marked as an evil believer, one whose beliefs can all be sealed together in a box stamped 'wicked person' - one who has fallen from grace and who by rights should be turned out of society altogether.2


Das leitende Prinzip der speech codes ist, daß nichts gesagt werden soll, was auf Angehörige von Minderheitengruppen verletzend wirken könnte. Im Zuge dessen sollen alle Wörter, die in irgendeiner Form Unbehagen hervorrufen können, verbannt werden. Dies hat notwendigerweise zur Folge, daß die verbotenen Äußerungen durch neue ersetzt werden müssen, an denen kein Anstoß genommen werden kann. Gereizt spottet Robert Hughes über diese Verschönerungen:

Just as language grotesquely inflates in attack, so it timidly shrinks in approbation, seeking words that cannot possibly give any offence, however notional.3

Diese Beobachtung scheint zum Teil richtig zu sein. Im PC-Jargon ist ein übergewichtiger Mensch zum Beispiel nicht mehr dick oder fett, sondern besitzt andere Ausmaße (possessing an alternative body image). Auch die Kleidergröße extralarge fällt weg. An ihre Stelle treten großzügig geschnittene (generously cut) oder größenfreundliche (size-friendly) Kollektionen. Junkies sind Personen mit einer pharmakologischen Vorliebe (pharmacological preference) oder einfach substance abuse survivors. Analphabeten werden zu anders geschulten Menschen (alternatively schooled). Unehrlichkeit wird zu einer ethischen Desorientierung (ethically disoriented), und jemand, der sich bis dato schlecht benommen hat, ist nun um ablehnende Aufmerksamkeit bemüht (engaged in negative attention getting).4

Ausdrücke wie cosmetically different für "ugly", chronologically gifted für "old" oder terminally inconvenienced für "dead" werden in der Tat wohl niemandem weh tun. Allerdings kann diesen Neuschöpfungen eine gewisse Affektiertheit nicht abgesprochen werden, so daß sich die Frage stellt, ob sie überhaupt jemals von einem breiteren Teil der Bevölkerung in Gebrauch genommen werden. Unter dem Thema "Sehnsucht nach Tabus" versuchte kürzlich der deutsche Fernsehjournalist Walter Helfer seine Zuschauer in korrekter Terminologie zum Weltjournal zu begrüßen. Als Vorbereitung auf einen Beitrag über politische Korrektheit in den Vereinigten Staaten formulierte Helfer:

Guten Abend, liebe Stammesfreundinnen und -freunde! Darf ich Sie als melaninverarmter, genetisch unterdrückerisch veranlagter, vertikal und sehtechnisch herausgeforderter, haarwuchsbeungünstigter Schneemensch mit solchen verarbeiteten Baumkadavern in der Hand begrüßen. Dumm-Deutsch? Keineswegs. Ich habe Sie nur politisch korrekt als weißer, männlicher, großgewachsener, kurzsichtiger, schütterhaariger Europäer mit einem Blatt Papier in der Hand zum Weltjournal begrüßt".5

Es ist kaum vorstellbar, daß sich die korrekten Neuschöpfungen konsequent im täglichen Leben anwenden ließen, ohne in eine mehr oder weniger ausgeprägte Form des gobbledygook zu münden. Die komplizierten Umschreibungen stehen im Widerspruch zu den Ökonomieregeln, die alle natürlichen Sprachen bestimmen. Bei durchgängiger Anwendung entstünden unverständliche Sprechblasen, die nur insofern zu einem friedfertigeren Miteinander beitrügen, als niemand mehr genau entschlüsseln könnte, was der andere sagt. Mit einigem Recht läßt sich behaupten, daß viele der vorgeschlagenen Änderungen wie eine Art Weichspüler wirken und durch ihre Abstraktheit zu einer Verwässerung der wirklichen Inhalte beitragen. So stellt sich die Frage, was sich PC-Vertreter von den Spracherneuerungen versprechen.

Grundsätzlich sind politisch motivierte Kampagnen zur Reformierung der Sprache nicht neu und auch nicht erst in diesem Jahrhundert entstanden. In allen Kulturen und Sprachgemeinschaften besteht der Glaube, daß der Gebrauch mancher Wörter aus funktionalen, ästhetischen oder moralischen Gründen dem Gebrauch anderer vorzuziehen sei. So urteilt Deborah Cameron:

Our capacity for reflecting on language and our tendency to make value judgements on it lead to the phenomenon of 'verbal hygiene' - a set of practices whose object is to 'clean up' the language, whether by upholding its supposed traditions (the project, for instance, of recent revisions to the English national curriculum) or by proposing wholesale improvements (the project of spelling reformers, Esperantists and of the so-called 'politically correct').6


Besonders die Reformversuche, die auf eine Perfektionierung des menschlichen Verhaltens abzielen, setzen voraus, daß das Denken und die Wahrnehmung der Menschen durch Sprache beeinflußt wird. Diese Vorstellung geht mindestens bis auf Johann Gottfried Herder (1744-1803) und Wilhelm von Humboldt (1767-1835) zurück und fand ihren Niederschlag später in den Arbeiten von Edward Sapir und Benjamin Lee Whorf. Dem Konzept von der Beziehung zwischen Sprache und Denken gaben amerikanische Linguisten, Anthropologen und Psychologen in den fünfziger Jahren die Bezeichnung Sapir-Whorf-Hypothese. Sie besagt in ihrer extremen Fassung: Sprache ist nicht nur ein Spiegel der Gesellschaft, sondern steuert, was wir als Realität wahrnehmen, oder, anders gesagt: Sprache bestimmt das Denken, weil wir die uns umgebende Welt nur in Form der Kategorien und Unterscheidungen wahrnehmen, die in der Sprache enkodiert sind.

Heutzutage stehen Linguisten und Psychologen dieser absoluten Version vom sprachlichen Determinismus skeptisch gegenüber. Allerdings spricht vieles für eine abgeschwächte Fassung der Hypothese. Diverse Untersuchungen haben ergeben, daß (in Verbindung mit anderen Faktoren) die Struktur einer Sprache begrenzten Einfluß auf Wahrnehmung und Gedächtnis sowie auf unser alltägliches Denken hat. Beispielsweise erbrachte eine gezielte Befragung englischsprachiger Testpersonen, daß diese dazu neigen, generisch verwendete maskuline Begriffe so zu interpretieren, als ob sie ausschließlich auf Männer referierten. Obwohl diese Tendenz bei geschlechtsneutralen Begriffen weniger ausgeprägt ist, läßt sich auch hier eine männliche Ausrichtung erkennen.7 Das bedeutet, geschlechtsneutrale Begriffe werden häufig so gebraucht, als ob sie maskulin wären. Ein bezeichnendes Beispiel lieferte George Bush mit seiner Begründung für die US-amerikanische Invasion in Panama. Der damalige Präsident erklärte: "We cannot tolerate the attacks on the wife of an American citizen." Das Wort citizen ist geschlechtsneutral und bezeichnet sowohl weibliche als auch männliche Bürger. In dem oben zitierten Satz wird die Frau aber zum Objekt und citizen bezieht sich ausschließlich auf Männer. Dies wiederum ist ein klarer Fall von androzentrischer Weltsicht. Sie findet in der Sprachverwendung ihren (unauffälligen) Ausdruck. Allerdings läßt sich nicht behaupten, die Sprache wäre der Verursacher dieser sexistischen Einstellung.8

In Anbetracht des eben Gesagten kann es durchaus erkenntnissteigernd sein, auf Sprachverwendungen aufmerksam zu machen, die versteckt diskriminierende Ansichten transportieren. Ebenso überlegenswert sind manche sprachlichen Änderungsvorschläge der PC-Bewegung, die im ersten Moment haarspalterisch erscheinen. Die Abschaffung der Anredeformen Mrs. und Miss zugunsten der Abkürzung Ms. beispielsweise hat nicht nur den Vorzug der Vereinfachung. Dadurch, daß auf den Familienstand nicht mehr Bezug genommen wird, wird die immer noch verbreitete Vorstellung unterhöhlt, eine Frau sei erst dann eine vollwertige Frau, wenn ein Mann sie "erwählt" habe.9 Die Änderung kann also durchaus als ein Beitrag zur Gleichberechtigung angesehen werden, zumal die Unterscheidung in ledig und verheiratet bei Männern nie eine Rolle gespielt hat. Dennoch gibt Barbara Ehrenreich zu bedenken:

I like being called Ms. I don't want people saying "man" when they mean me, too. I'm willing to make an issue of these things. But I know that even when all women are Ms., we'll still get sixty-five cents for every dollar earned by a man. Minorities by any other name - people of color, or whatever - will still bear a huge burden of poverty, discrimination, and racial harassment. Verbal uplift is not the revolution.10


Implizit stellt Ehrenreich in Frage, daß die Auswechslung gebräuchlicher Wörter per Verordnung eine Änderung der Denkmuster bewirkt.11 Explizit weist sie auf die Gefahr hin, Umbenennungen mit sozialer Reform - also Worte mit Taten - zu verwechseln. Die alleinigen Bemühungen um eine vorurteilslose respektbezeugende Sprache ändern, laut Ehrenberg, wenig an gesellschaftlichen Mißständen. Ähnlich argumentiert Robert Hughes:

We want to create a sort of linguistic Lourdes, where evil and misfortune are dispelled by a dip in the waters of euphemism. Does the cripple rise from his wheelchair, or feel better about being stuck in it, because someone back in the days of the Carter administration decided that, for official purposes, he was "physically challenged"? Does the homosexual suppose others love him more or hate him less because he is called a "gay". (...) The net gain is that thugs who used to go faggot-bashing now go gay-bashing.12


Nach Auffassung vieler Kritiker tragen die neu geschaffenen Umschreibungen dazu bei, Kontroversen und Konflikte sozialtherapeutisch zu vernebeln. Sie täuschen über das Fehlen eines praxisbezogenen sozialpolitischen Konzepts hinweg, verharmlosen gesellschaftliche Mißstände und lenken dadurch die Aufmerksamkeit von Ungerechtigkeiten, Vorurteilen und Not ab. Ein Schlüsselwort in der Debatte um die politisch korrekten Spracherneuerungen ist deshalb der Begriff 'Euphemismus'. Wenn ein Obdachloser zum Beispiel nicht mehr homeless ist, sondern underhoused oder involuntarily undomiciled, wird seine tatsächliche Situation verschleiert - mit Wörtern gemildert. Doch ebenso wenig wie der Arme, nun da er als economically marginalized gilt, seine offenen Rechnungen bezahlen kann, verschafft die Umbenennung dem Obdachlosen ein Dach über dem Kopf. Michiko Kakutani bemerkt:

The point is not that the excesses of the word police are comical. The point is that their intolerance has disturbing implications. Getting upset by phrases like "bullish on America" or "the city of brotherly love" tends to distract attention from the real problems of prejudice and injustice that exist in society, turning them into mere questions of semantics.13


Durch die Verlagerung des Interesses von den Inhalten gesellschaftlich relevanter Probleme auf sprachliche Erscheinungen wird leicht die Illusion erzeugt, es bestünde kein Handlungsbedarf. Die ursprünglich als Mittel zum Abbau von Vorurteilen, Diskriminierungen und Rassismus ins Leben gerufenen Euphemismen bergen die Gefahr in sich, die Inhalte zu verwischen und durch sprachliche Auf- oder Abwertung für gelöst zu erklären. Um eine tugendhaftere Gesellschaft bemüht, schafft die PC-Bewegung mittels "Sprachbereinigung" eine neue politische Etikette, die mit Politik wenig zu tun hat.

Die politisch korrekten Euphemismen nehmen eine Zwitterposition ein. Sie sind ideologisch motiviert (im Sinne eines sozialen Takts), können im Kontext aber leicht zu verschleiernden Euphemismen werden, die den Weg eröffnen sowohl für sprachliche Manipulation als auch für Manipulation durch Sprache. Indem sie die bisher gebräuchlichen Ausdrücke verteidigen, verweisen die Gegner der neuen linguistischen Anstandsregeln deshalb häufig auf George Orwells klassischen Essay "Politics and the English Language". In diesem Aufsatz warnt Orwell vor einer Sprache, die ins Abstrakte flüchtet. Anstelle von unverständlichem Jargon und Umschreibungen, Klischees, Phrasen, gefühlserregenden und wertgeladenen Begriffen, setzt er sich für den Gebrauch von Wörtern und Ausdrücken ein, die klar und prägnant sind. In folgender Passage aus "Politics and the English Language" begründet Orwell sein Anliegen:

If you simplify your English, you are freed from the worst follies of orthodoxy. You cannot speak any of the necessary dialects, and when you make a stupid remark its stupidity will be obvious, even to yourself. Political language - and with variations this is true of all political parties, from Conservatives to Anarchists - is designed to make lies sound truthful and murder respectable, and to give an appearance of solidity to pure wind. One cannot change this all in a moment, but one can at least change one's own habits.14


George Orwells Anmerkung wird im Zusammenhang mit der PC-Sprache oft zitiert, weil die vorgeschlagenen Neologismen nicht für neutral, sondern für in hohem Maße umschreibend und wertgeladen gehalten werden. Dabei wird allerdings leicht übersehen, daß viele der ursprünglichen Ausdrücke auch nicht frei von Wertungen sind. Euphemismen tauchen immer dann auf, wenn eine neutrale Benennung nicht möglich ist oder zumindest Schwierigkeiten bereitet. Mit der Neuschöpfung physically challenged wird der Zustand des Rollstuhlfahrers beschönigend ummäntelt. Doch schon die zuvor verwendeten Ausdrücke handicapped und disabled sind Ersatzausdrücke für das ältere Wort crippled, das mittlerweile als geschmacklos angesehen wird und seit Jahrzehnten auch Kindergartenkindern als Beleidigung bekannt ist. Um dem Mangel an positiven Ausdrücken Abhilfe zu schaffen, sponserte die National Christina Foundation im Jahr 1990 den Wettbewerb "Create a New World". Aufgabe des Wettbewerbs war es, feinfühlige Ausdrücke für Menschen mit einer Behinderung zu finden. Am Ende gewann die Neuschöpfung people with differing abilities, für die der Einsender die Summe von fünfzigtausend Dollar erhielt. Der Journalist Andrew J. Washburn kürte in der Zeitschrift The Disability Rag allerdings den Ausdruck severely euphemized als beste Antwort15 und in der Tat macht diese Wendung am deutlichsten auf die Schwierigkeit aufmerksam, ein halbwegs neutrales Wort für Behinderte zu finden.

Ähnlich verhält es sich mit der Verbindung African-American, die als Euphemismus angegriffen wird. Spätestens seit mit der Bürgerrechtsbewegung die antirassistischen Sensibilitäten wuchsen, begann man den allzu deutlichen Hinweis auf die Farbe der Haut zu scheuen. Diese Unsicherheit spiegelt sich in der vergeblichen Suche nach angemessenen Bezeichnungen. Daß das Unbehagen allerdings weiter zurückreicht als bis in die fünfziger und sechziger Jahre dieses Jahrhunderts, zeigt die wechselvolle Geschichte des Wortes Negro.

Negro kommt aus dem Spanischen bzw. Portugiesischen und bedeutet "schwarz". Letztlich leitet es sich von dem lateinischen Wort für "schwarz" - nämlich niger - her, das auch Pate für das englische nigger stand. Im Englischen wird Negro mindestens seit 1555 verwendet, um auf schwarze Menschen afrikanischer Abstammung zu referieren. Ursprünglich als neutrale Bezeichnung gewertet,16 wurde Negro während des 18. Jahrhunderts als Euphemismus für das Wort slave benutzt. Hugh Rawson erläutert:

In the eighteenth century, 'Negro' was a common euphemism for 'slave', a word that inspired so much guilt that even slave-owners were reluctant to pronounce it. Thus, 'Negro quarter' is first recorded in 1734, more than a century before the initial appearance of 'slave quarter' in 1837. The euphemistic aspect also is clear from Capt. Francis Grose's definition: 'NEGRO. A black-a-moor: figuratively used for slave. I'll be no man's negro; I will be no man's slave' (A Classical Dictionary of the Vulgar Tongue, 1796).17


Aufgrund dieser Verbindung zogen die ehemaligen Sklaven nach dem Bürgerkrieg Bezeichnungen wie freedmen, freedwoman, colored people, Afro-American, Africo-American oder ebony vor. Schon um 1840 setzten freie Schwarze beispielsweise hinter ihre Unterschrift die Kürzel f.m.c. oder f.w.c., die für free man of color bzw. free woman of color standen. Für etwa ein Jahrhundert avancierte colored zur bevorzugten Bezeichnung. Dies zeigt sich unter anderem auch daran, daß die mächtigste Interessenvertretung schwarzer amerikanischer Bürger bei ihrer Gründung im Jahr 1903 den Namen National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) wählte, den sie bis heute beibehalten hat. Obwohl Ausdrücke wie colored lady, colored gentleman und colored society lange für eleganter gehalten wurden als ihre Entsprechungen mit dem Wort Negro, stieg auch dieses wieder in der Achtung. Seine Rückkehr in den öffentlichen Sprachgebrauch kann auf das Jahr 1891 zurückdatiert werden. Auf Empfehlung von Booker T. Washington wählte das Census Bureau den Begriff, nachdem es zuvor versucht hatte, farbige Menschen nach ihren Hautschattierungen zu klassifizieren. Die Bandbreite reichte von black über mulatto und quadroon bis zum beinahe weißen octoroon.18

Während colored und negro bis in die sechziger Jahre dieses Jahrhunderts als gebrauchsfähige Bezeichnungen galten, blieb das englische Wort black verpönt .19 Das linguistische Vakuum, das dadurch entstand, wurde ausgefüllt mit anderen Ausdrücken, die auf die Hautfarbe anspielen. Dazu zählen blue, chocolate drop, darky, ebony, ink, pinky, shine und smoke. Der Aufstieg des Wortes black begann erst, als eine neue Generation schwarzer Amerikaner gegen den Status Quo revoltierte. Das gewandelte Selbstbewußtsein zeigte sich in einer fast trotzigen Aufwertung der blackness, wie in Black Muslims, Black Panthers oder Black Power, das ebenso zum Slogan wurde wie der Ausspruch Black is beautiful. Als schwarz galt jeder, der einen Urahnen aus Afrika vorzuweisen hatte, gleichgültig wie hell sein Haut auch sein mochte. So wurde die stolz gewählte Bezeichnung black mehr zu einer Geisteshaltung als zu einer akkuraten Bezeichnung der Hautfarbe. Negro aber wurde einer älteren, allem Anschein nach unterwürfigeren Generation zugeordnet und galt wiederum als herabsetzender Ausdruck.

Das weite Spektrum, das mit black abgedeckt wird, stiftete jedoch besonders beim U.S. Census Bureau beträchtliche Verwirrung. Um bei der Auswertung der Meldeformulare für die Erhebung des Jahres 1980 zu helfen, erstellten Angestellte der Behörde ein Handbuch, dessen Irrationalität in der New York Times analysiert wurde:

If you list your race as "coffee," or "chocolate," the guidebook says you are "black." But if you write that you are "brown," then you are "white" (...). If you write in "Oriental," you are considered Japanese. But if you write in "Yellow," you are classified as "Other." If you write in "Brazilian," the guidebook says you are "white" (this will be news to Pelé). If you're black and prefer to be white, simply write in "American," since that, according to the guidebook, means "white." So does "South African."20


Auch die zur Zeit moderne Bezeichnung African-American als Ersatz für black dürfte das Census Bureau vor ein ungelöstes Problem stellen. Da sich der Begriff nur auf Menschen schwarzer Hautfarbe bezieht, bezeichnet er chinesisch, indisch oder arabisch stämmige Einwanderer aus Afrika nur unzureichend. In den Verzeichnissen müßten sie als white African-Americans registriert werden, was wiederum ein Widerspruch in sich selbst ist. Gegenüber den Bezeichnungen black, colored oder Negro hat African-American allerdings den Vorzug, daß es den direkten Hinweis auf die Hautfarbe vermeidet. Deshalb bemerkt Deborah Cameron, daß Kritiker, die behaupten, African-American sei ein Euphemismus, weil es keinen Bezug auf die Hautfarbe nimmt, implizit unterstellen, Klassifizierungen nach der Hautfarbe seien wertneutrale Beschreibungen.21

Auch Robert Hughes beschäftigt sich in seinem Buch Culture of Complaint mit den Implikationen des "Bindestrich-Amerikanertums". Trotz der Schwammigkeit spricht er African-American eine Berechtigung zu. Das gleiche gilt für die Bezeichnung Asian-American, der Hughes mehr abgewinnen kann als dem Substantiv Oriental. Seiner Meinung nach suggeriert der ältere Ausdruck eine Fremdheit, die so absolut ist, daß sie jede Annäherung von vornherein ausschließt: "'Oriental' suggests a foreignness so extreme that it cannot be assimilated, and raises the Fu-Manchu phantoms of nineteenth-century racist fiction treacherous cunning, clouds of opium, glittering slit eyes." Den Ausdruck Native American hält er für tugendsamer, doch lege es den etwas absurden Schluß nahe, daß die Weißen, die seit Generationen im Land leben, keine natives seien, sondern nach wie vor Eindringlinge. Um dem Sprachwirrwarr ein Ende zu bereiten, plädiert Robert Hughes für eine Vereinfachung der Sprache im Orwellschen Sinn und schlägt vor, jeder - ob schwarz, gelb, rot oder weiß - solle sich schlicht American nennen.22 Dennoch wird auch Robert Hughes nicht umhin können, diesen "Nur-Amerikaner" gelegentlich näher zu beschreiben und wird vermutlich wieder auf Klassifizierungen nach Hautfarbe zurückgreifen müssen.

Gerade die Bezeichnungen, die sich auf die ethnische Zugehörigkeit eines Menschen beziehen, offenbaren das Dilemma, Ausdrücke zu finden, die von allen Beteiligten anerkannt werden. Vergleicht man die im politisch korrekt orientierten Dictionary of Cautionary Words and Phrases festgehaltenen Einträge zu African-American, black und colored, wird diese Ratlosigkeit deutlich:

African-American: Also used for black. Preferred by some, but not universally accepted. May be objectionable to those persons preferring black.

Black: Refers to Americans of African descent. Refer to individual newspaper style. African-American or black also are being used. Do not use "colored" as a synonym.

Colored: In some societies, including the United States, the word is considered derogatory and should not be used. Exception: when used as part of a title, as in the National Association for the Advancement of Colored People. In some African countries, it is used to denote individuals of mixed racial ancestry. Whenever the word is used, place it in quotation marks and provide an explanation of its meaning.23


Sprache ist ein hoch variables und äußerst kontextabhängiges Phänomen. Viele Begriffe vermitteln Bewertungen, die sich ändern, je nachdem, wer spricht, in welchem Zusammenhang und innerhalb welcher Machtstrukturen. Ein Skinhead, der das Wort nigger gebraucht, will damit seine Verachtung ausdrücken. Beinahe die entgegengesetzte Bedeutung erhält nigger, wenn es von schwarzen Jugendlichen benutzt wird. Die einstige Verbalinjurie steht für "Kerl" oder "Bruder" und erfreut sich vor allem in der Musikszene großer Beliebtheit. Niggas with Attitude ist zum Beispiel der Name einer erfolgreichen Rap-Gruppe.

Wie diese Schwarzen, fanden auch die Aktivisten von Queer Nation Geschmack an der Provokation. Sie entschieden sich bewußt gegen die Ausdrücke homosexual und gay, die als politisch korrekt gelten. Wie einst die niederländischen Geusen, die man als Bettler abqualifizierte und die diese Bezeichnung dann zu ihrem Ehrentitel machten, werteten die homosexuellen Aktivisten das Wort queer für sich um. Ihrer Meinung nach verleiht der von PC-Vertretern als abwertend eingestufte Ausdruck queer Selbstbewußtsein und Stärke. Gleichzeitig bringt die Wortwahl eine Abwehrhaltung zur Geltung, die daher rührt, sich nicht von einer anderen Gruppe und deren Machtinteressen vereinnahmen lassen zu wollen.

Ursprünglich war die politische Korrektheit ein therapeutischer Versuch, zivilen Gemeinsinn zu stiften. Doch handelt PC mittlerweile nicht nur von Gleichheit und Toleranz, sondern auch von Macht - wer sie hat und was damit gemacht wird. Dementsprechend neigen besonders radikalere PC-Aktivisten dazu, sich zum Schutzpatron von Minderheitengruppen und deren Anliegen aufzuschwingen, ohne zu fragen, ob diese als Opfer definierten Gruppen damit einverstanden sind. Die oben angeführten Beispiele zeigen, daß der Vorschlag, Minderheitengruppen sollten sich selbst einen Namen aussuchen, schwierig umzusetzen ist. Die bevorzugten Bezeichnungen ändern sich nicht nur im Laufe der Zeit, sondern variieren auch von Ort zu Ort. Eine landesweite Umfrage ergab zum Beispiel, daß vier Fünftel aller befragten Schwarzen auch als solche angesprochen werden wollen. Nur ein Fünftel zieht die Bezeichnung African-American vor. In den Wohngebieten der Mittelschicht und innerhalb der Einkommens- und Berufsgruppen, die mit einem höheren sozialen Prestige verbunden sind, sprach sich hingegen eine Mehrheit für African-American aus.24 Nadine Strossen gibt deshalb zu bedenken:

To note the difficulty of identifying the preferred term for referring to particular groups is not to downplay the importance of maintaining sensitivity to this issue and making a good faith effort to use appropriate words. However, it does mean that people should not be condemned quickly as insensitive or biased if they inadvertently use what some might regard as the "wrong" term.25


Anmerkungen

1

Siehe dazu: Hughes, Robert, Culture of Complaint, 1993, S. 21. [zurück]

2

Rauch, Jonathan, Kindly Inquisitors: The New Attacks on Free Thought, 1993, S. 151. [zurück]

3

Hughes, 1993, S. 21. [zurück]

4

Die Beispiele kommen aus: Beard, Henry, Cerf, Christopher, The Official Politically Correct Dictionary and Handbook, 1992. [zurück]

5

Weltjournal, ausgestrahlt auf N3, 16.02.1995, 22.05-22.50 Uhr. [zurück]

6

Cameron, Deborah, "'Words, Words, Words': The Power of Language", in: Dunant, Sarah (Hrsg.), The War of the Words, 1994, S. 18. [zurück]

7

Dies gilt unter anderem auch für die deutsche Sprache. Die Linguistin Luise F. Pusch illustriert das männlich orientierte Denken an folgendem Satz: "Frauen hatten die Mongolen eine oder mehrere." Da das Maskulinum die Mongolen eine ethnische Bezeichnung für das mongolische Volk ist, muß es zunächst einmal als generische, für Männer und Frauen gültige Form interpretiert werden. Paraphrasiert hieße der Satz also: "Frauen hatten die mongolischen Männer und Frauen eine oder mehrere." Nun ist aber davon auszugehen, daß auch bei den Mongolen nur Männer Frauen "haben" durften, Frauen jedoch keine Frauen. Mit die Mongolen sind demnach ausschließlich mongolische Männer gemeint und die generische Form müßte ersetzt werden mit: "Frauen hatten die mongolischen Männer eine oder mehrere." Wollte man die männliche Dominanz ganz vermeiden und Frauen in den Mittelpunkt des Interesses setzen, lautete der Satz: "Die mongolischen Frauen hatten einen Mann oder sie teilten sich einen." (Siehe dazu: Pusch, Louise F., "Im Zentrum die Frau", in: Emma, September 1992, S. 49.) [zurück]

8

Siehe dazu: Cameron, in: Dunant (Hrsg.), 1994, S. 25 ff.. [zurück]

9

Siehe dazu auch: Weinrich, Harald, "Die Etikette der Gleichheit", in: Der Spiegel, 11.07.1994, S. 165. [zurück]

10

Ehrenreich, Barbara, "The Challenge for the Left", in: Berman, Paul (Hrsg.), Debating P.C.: The Controversy over Political Correctness on College Campusses, 1992, S. 336. [zurück]

11

Dies kommt an anderer Stelle ihres Aufsatzes "The Challenge for the Left" deutlicher zur Sprache. Ehrenreich schreibt: "[T]here is a tendency to rely on administration-enforced rules to stop offensive speech and to enforce a new, and quite admirable, kind of civility. Quite aside from the free speech issue, the problem is: Rules don't work. If you outlaw the use of the term 'girl' instead of 'woman,' you're not going to do a thing about the sexist attitudes underneath." (Ehrenreich, in: Berman (Hrsg.), 1992, S. 335.) [zurück]

12

Hughes, 1993, S. 20. [zurück]

13

Kakutani, Michiko, "PC Recipes for the Mother(?) Tongue", in: The Herald Tribune, 03.02.1993, S. 15. [zurück]

14

Orwell, George, "Politics and the English Language", in: The Penguin Essays of George Orwell, 1994, S. 359. [zurück]

15

Zitiert nach: Beard, Cerf, 1992, S. 46 und S. 55. [zurück]]

16

Anzumerken ist allerdings, daß die Entlehnung eines Fremdworts zur Ersetzung des englischen Ausdrucks black bereits auf eine euphemistische Tendenz schließen läßt. [zurück]

17

Rawson, Hugh, A Dictionary of Euphemism and Other Doubletalk, 1981, S. 190-191. [zurück]

18

Siehe dazu: Rawson, Hugh, A Dictionary of Invective, 1991, S. 266. [zurück]

19

In einem Artikel der New York Times vom 01.01.1984 erinnert sich die schwarze Kabarettsängerin Bricktop (mit bürgerlichem Namen Ada Beatrice Queen Victoria Louise Virginia Smith), wie ihre Karriere um 1910 in Chicago begann. Wörtlich sagte sie: "I was in the chorus of a Negro theater at 15 - don't say 'black,' I hate 'black,' I'm 100 percent American Negro with a trigger of Irish temper." (Zitiert nach: Rawson, 1991, S. 266.) [zurück]

20

In: New York Times, 24.07.1976, Op Ed page. Zitiert nach: Rawson, 1981, S. 34. [zurück]

21

Siehe dazu: Cameron, in: Dunant (Hrsg.), 1994, S. 28. [zurück]

22

Siehe dazu: Hughes, 1993, S. 24. [zurück]

23

Dictionary of Cautionary Words and Phrases, herausgegeben vom Multicultural Management Program der School of Journalism an der University of Missouri in Columbia, 1989. Die Einträge finden sich unter dem jeweiligen Anfangsbuchstaben. [zurück]

24

Siehe dazu: Strossen, Nadine, "The Controversy over Politically Correct Speech", in: USA Today, November 1992, S. 58. [zurück]

25

Strossen, in: USA Today, November 1992, S. 58. [zurück]



 
 

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