das triffts!

[back]


Euphemismen im allgemeine Sprachgebrauch

> Garden of memories

... oder "Der Sargdeckel ist auf der Seite des Verbrauchers schmucklos"(Stanislaw Jerzy Lec)1


Als der österreichische Kaiser Joseph II (1780-1790) in Wien verkünden ließ, daß Angehörige der unteren und mittleren Stände in wiederverwendbaren Särgen beerdigt werden sollten, machte er sich keine Freunde. Man fand diesen Erlaß empörend und die Idee, Tote in Säcke zu schnüren und mittels eines Klappsargs über dem ausgehobenen Grab auszuschütten, äußerst geschmacklos.2

Seitdem sind rund 200 Jahre vergangen, und obwohl heute nur noch zu besonderen Anlässen Leichenzüge durch die Straßen ziehen, ist das Bestattungsritual nach wie vor von einer feierlichen Aura umhüllt, die Anlaß für eine Fülle von ausweichenden Umschreibungen gibt. Louise Pound stellte im Jahr 1936 fest:

It appears, in fact, that one of mankind's gravest problems is to avoid a straightforward mention of dying or burial. Every ingenuity is practiced to find words which will shroud the idea of death.3


An dieser Beobachtung hat sich nichts geändert. Die Zahl der Euphemismen ist seitdem eher noch gestiegen, wobei die Vereinigten Staaten die Vorreiterrolle einnehmen. So schreibt zum Beispiel John Gross:

The time for formal solemnity is above all at funerals and burials, and to speak of euphemisms in this connection is generally to speak of solemnities which have gone wrong. And in the modern world they can go wrong to an unprecedented degree, with America, notoriously, setting the pace.4


Um das Jahr 1860 begann hier der unaufhaltsame Aufstieg des Wortes casket. Nathaniel Hawthorne empfand dieses Wort zwar als "a vile modern phrase which compels a person to shrink from the idea of being buried at all".5 Trotzdem zog und zieht es die Mehrzahl der englischsprachigen Amerikaner vor, sich in einer "Schatulle" anstatt in einem herkömmlichen coffin (= Sarg) beerdigen zu lassen.

Die amerikanischen Leichenbestatter - bis zum Ende des letzten Jahrhunderts noch unter der Bezeichnung undertaker bekannt - wählten 1895 die gewichtigere Bezeichnung mortician. Nachdem jedoch auch der einfache hairdresser auf den Gedanken kam, sich beautician zu nennen, ging man im Bestattungswesen dazu über, sich als funeral director zu verstehen. Sehr geschäftstüchtige Leichenbestatter bevorzugen die Bezeichnungen grief therapist und bereavement counselor.

Der bereavement counselor bemüht sich nicht um einen corpse oder body, sondern um the dear departed. Noch besser eignet sich die Bezeichnung the loved one, denn wer könnte so herzlos sein, seinen loved ones das letzte (teure) Ehrengeleit zu versagen. Auf diese geschäftliche Seite des Unternehmens macht John Gross aufmerksam:

'The loved one' itself owes much of its unpleasantness as a phrase to its slick commercial overtones. It has a certain precedent in the dear departed of Victorian times, which may have been acceptable at a funeral, but must often have sounded unbearably unctuous in ordinary conversation. (...) But at least 'the dear departed' was never taken up and exploited by the marketing department. What is particularly objectionable about 'the loved one' is its presumptuousness, as of an insurance salesman telling you that you owe it to your loved ones to take out one of his policies.6


Dort, wo andere scherzhaft von food for worms, wooden overcoats und cold meat parties sprechen, läßt der grief therapist eine makellose Welt erstehen.

Ein Toter liegt deshalb nicht in seinem Sarg, wo man ihn noch einmal sehen kann, bevor ihn der Bestatter in sein Grab auf dem Friedhof legt, sondern the embalmed, departed loved one, tweedsuited or eveninggowned, with pipe or telephone in cosmeticised hand, rests in his casket in the slumber room, where his friends and relatives come for leave-taking, before the grief therapist assists the dear one to his plot in the memorial garden or memorial park.7


Die kommerziellen Interessen des Bestattungswesens verbinden sich vortrefflich mit dem Wunsch der Hinterbliebenen, die Realität des Todes nur maskiert wahrzunehmen. Aus diesem Grund hat auch das Wort cemetery ausgedient.Cemetery, welches sich von dem griechischen Wort koineterion mit der Bedeutung "Schlafsaal" (engl. "dormitory") ableitet und einst das Wort graveyard euphemistisch ersetzte, wird heute mit einer unpersönlichen, düsteren Anlage gleichgesetzt; und wie kann ein Wort, das so unangenehme Vorstellungen auslöst, mithalten mit den Bezeichnungenmemorial park, garden of rest und garden of memories, die geradezu dazu einladen, in einem solchen Garten zu Lebzeiten ein pre-need memorial estate zuerwerben?8


Anmerkungen

1

Lec, Stanislaw Jerzy, Alle unfrisierten Gedanken, 1991, S. 38. [zurück]

2

In dem Film Amadeus ist ein solches Begräbnis nachgestellt worden.[zurück]

3

Pound, Louise, "American Euphemisms for Dying, Death and Burial", in: American Speech, 11 (1936), S. 195. [zurück]

4

Gross, John, "Intimations of Mortality", in: Enright, D.J. (Hrsg.), Fair of Speech, 1985, S. 210. [zurück]

5

Zitiert nach: Neaman, Judith S., Silver, Carole G., In Other Words. A Thesaurus of Euphemisms, 1991, S. 179. [zurück]

6

Gross, 1985, S. 211. [zurück]

7

Danninger, Elisabeth, "Tabubereiche und Euphemismen", in: Welte, Werner (Hrsg.), Sprachtheorie und angewandte Linguistik. Festschrift für Alfred Wollmann zum 60. Geburtstag, 1982, S. 243. [zurück]

8

Mit diesem Thema befaßt sich ausführlich: Mitford, Jessica, The American Way of Death, 1963. Weitere Hinweise sind zu finden bei: Pound, 1936, S. 195 ff.; Allan, Keith, Burridge, Kate, Euphemisms & Dysphemisms: Language used as shield or weapon, 1991, S. 164 ff.; Neaman, Silver, 1991, S. 179 ff.; Gross, 1985, S. 203 ff.. [zurück]



 
 

******************************************************************************
© nicole zöllner phone (040) 500 187 44 e-mail: zoellner@das-triffts.de

[top]