|
|
|
> Die Macht des Wortes
Hamburger
Abendblatt - Ressort Wissen, 21./22.3.1998
Sprechblasen, Worthülsen, sinnentleerte Phrasen - damit ist in der Öffentlichkeit
gerade in Zeiten des Wahlkampfes kein Staat mehr zu machen. Politiker müssen Verantwortung übernehmen für
das, was sie sagen, und mehr denn je bedenken, wie sie es sagen. Der wirkungsvolle Redevortrag will gelernt sein.
Rhetorik-Kurse haben Hochkonjunktur bei allen, die sich im redegewandten Sprechen üben
wollen. Reden ist Silber, gut reden aber Gold. Das hat sich inzwischen herumgesprochen
und gilt besonders für Politiker.
Zu dem Bonner Image- und Rhetoriktrainer Wolfgang Nett kommen Bürgermeister
und Stadträte, Landtagsabgeordnete und Landesminister. Im Einzelunterricht
holen sie nach, was ihnen im politischen Tagesgeschäft allzu oft Schwierigkeiten
bereitet: überzeugend aufzufallen. Wolfgang Nett, im Hauptberuf Personalberater,
geht es nicht um manipulative Redetechniken. Seine Seminare beantworten die
Fragen: Wie wirke ich nach außen? Wen will ich ansprechen? Kann ich mich
auf meine Zielgruppe einstellen?
Wie so oft, sitzt der Teufel im Detail. "Man muß etwas zu sagen haben,
wenn man reden will." Goethes Sinnspruch ist Voraussetzung. So gibt Nett seinen
Klienten schon mal den Rat, lieber den Mund zu halten, bevor sie in Geschwafel
verfallen. Denn: "Getretner Quark wird breit, nicht stark." Auch ein Goethe-Zitat.
Gequasselt wird in der Politik fürwahr genug. Unverbindliche Aussagen,
Schachtelsätze, Floskeln, überkandidelte Fachbegriffe, die auch durch
wiederholten Gebrauch nicht besser werden - das alles ergibt Sprechblasen,
die so schnell vergessen werden wie sie ausgesprochen wurden. Hektischer Wortreichtum
dient häufig genau dem: nichts mitzuteilen.
In solchen Fällen verbinden sich ellenlange Substantive mit sinnentleerten
Phrasen und umständlichen Streckverben. "Zur Anwendung gebracht" werden "Einkünfteerzielungsabsichten", "kollektive
Einzelinteressen", "ausgegrenzte Konfliktfelder" und "angedachte Eckpfeiler",
wobei zuweilen die "visionären Ziele" aus dem Auge verloren werden. Wortgeklingel
also, das mit beschönigenden Formulierungen angereichert wird. Entlassungen
werden dabei zu "Freisetzungen", Rentenkürzungen zu "Rentenanpassungen",
Abbau zum "Umbau des Sozialstaates", eine Rezession zum "Minuswachstum".
Häufig sind solche Fluchtbewegungen ins Unverbindliche Ausdruck von Unsicherheit.
Hier setzt Wolfgang Nett an. In einem ausführlichen Eingangsgespräch
werden Schwach- und Schwerpunkte gesucht. Es folgen Übungen zu typischen
Redesituationen. Ob Interview, Vortrag oder Diskussion - alle Übungen
werden auf Video festgehalten und analysiert.
Natürlich gibt Nett seinen Schülern Strategien zur Überbrückung
unangenehmer Situationen an die Hand: So gehören Gegen- und Vertiefungsfragen
zu seinem Repertoire. Doch er konzentriert sich auf die Stärkung der Persönlichkeit.
Er will den Politikern beibringen, Verantwortung für das zu übernehmen,
was sie sagen. Sie sollen Reibungsflächen bieten und darauf verzichten,
nur eine Rolle zu spielen.
Ebenso wie Bundespräsident Roman Herzog, der in seiner letzten Weihnachtsansprache "das
Gespräch untereinander" anmahnte, hält Nett die Fähigkeit zur
Kommunikation für den Schlüssel zum Erfolg. Seine Tätigkeit
nennt er deshalb "Coaching im kommunikativen Bereich".
Das englische "Coaching", einer der vielen Anglizismen, die lebhafte Aufnahme
in die deutsche Alltagssprache finden, bedeutet soviel wie "jemandem Nachhilfeunterricht
geben", "jemandem etwas einpauken". Von Einpauken kann hier nicht mehr die
Rede sein, wohl aber von Nachhilfeunterricht. "Den haben im Grunde die meisten
Menschen nötig, die bei uns in der Politik öffentlich auftreten",
urteilt Prof. Dr. Christoph Gutknecht. Der an der Universität Hamburg
lehrende Sprachwissenschaftler meint, daß der Kunst des wirkungsvollen
Redevortrags im deutschen Ausbildungssystem viel zu wenig Beachtung geschenkt
werde. Das sei in Frankreich und den angelsächsischen Ländern anders.
Britische Schulen und Universitäten verfügen auf diesem Gebiet über
eine lange Tradition. An den Eliteuniversitäten Oxford und Cambridge treffen
Studenten regelmäßig in "Debating Societies" zusammen. Bei diesen
Vereinigungen handelt es sich um hochangesehene Einrichtungen, deren Rededuelle
sogar von der BBC übertragen werden.
Ähnlich sieht es in Frankreich aus. Rhetorischer Schliff gehört hier
einfach zum Handwerkszeug und wird bereits in der Schule trainiert. Politiker,
die sprachliche Ausdruckskraft und kulturelle Bildung vermissen lassen, haben
kaum eine Chance, von ihren Landsleuten in hohe Ämter gewählt zu werden.
So fällt auf, daß viele französische Karrierediplomaten, Parlamentarier
und Regierungsmitglieder sich auch als Romanautoren oder Dichter einen Namen
gemacht haben.
Bei uns hat Sprache einen anderen Stellenwert. Außerhalb der Literatur
dient sie fast ausschließlich als Instrument des Informationsaustausches.
Formulierungskraft und Wortgewandtheit spielen eine untergeordnete Rolle. Langsam
wird dies als Defizit erkannt, meint der Sprachwissenschaftler Christoph Gutknecht.
Er bewertet den wachsenden Zuspruch, den Rhetorik-Kurse auch bei Politikern
finden, als Folge eines grundsätzlichen Wandels in der Medienlandschaft.
Der politische Erfolg hängt immer mehr vom rhetorischen Geschick ab.
Da die parteieigenen Presseorgane bedeutungslos geworden seien, erreichten
die politischen Organisationen Mitglieder wie Publikum fast nur noch über
die Massenmedien. Aufgrund der Konkurrenz im Medienbereich, fährt Gutknecht
fort, richte sich die Auswahl und Präsentation von Themen mehr und mehr
auf die Wünsche des Publikums und darauf, ob bestimmte Themen zu (Fernseh-)Ereignissen
gemacht werden könnten.
Im Rahmen von Wahlkämpfen gewinnt die publikumswirksame Darstellung zusätzliche
Bedeutung. Der Erfolg der politischen Akteure mißt sich auch an ihrem
rhetorischen Geschick. Daß dies so ist, liegt in der Natur der Sache.
Die rhetorischen Mittel politischer Redner sind auf eine überzeugende
Darstellung und eine wirksame Meinungsbeeinflussung ausgerichtet. Schlagkräftige
Argumente, eine schlüssige Beweisführung und die wohlgeordnete sprachliche
Ausformung der Gedanken sind die grundsätzlichen Anforderungen an eine
gute Rede. Dies ist bei den deutschen Spitzenpolitikern derzeit deshalb weitgehend
gewährleistet, erklärt der Hamburger Professor, weil sie sich auf
Redenschreiber verlassen können. "Wenn man die Redemanuskripte im Hinblick
auf die verwendeten stilistischen Mittel durchsieht, ergibt sich eine auffällige
Uniformität."
Daraus läßt sich ablesen, daß die Redevorlagen bereits auf
den mündlichen Vortrag ausgerichtet sind. Es zeigt aber auch, daß eine
gut geschriebene Rede allein noch nicht genügt. Sie wird erst durch die
Person des Redners zum Leben erweckt. Und hier sind die Fähigkeiten der
Spitzenpolitiker gefordert. Beim mündlichen Vortrag, so Professor Gutknecht,
gewinnen Artikulation, Lautstärke und Rhythmus, die kunstvolle Hervorhebung
des Wichtigen durch Gestik, Mimik, Pausen und Stimmführung eine außerordentliche
Bedeutung. Diese Faktoren beeinflussen, ob der Zuhörer dem Gesagten wohlwollend
oder kritisch gegenübersteht.
"Man kann sagen, daß drei Qualitäten vornehmlich entscheidend sind
für den Politiker: Leidenschaft, Verantwortungsgefühl, Augenmaß",
schrieb der deutsche Soziologe Max Weber Anfang des Jahrhunderts. Die drei Qualitäten
des Politikers gelten offensichtlich immer noch. Über seinen Erfolg entscheidet
in der heutigen Welt aber vor allem, ob er werbewirksam auftreten kann. Wer das
nicht beherrscht, hat ein Problem.
Das können sie verbessern -
Tipps von Sprachwissenschaftler Prof. Gutknecht
Helmut
Kohl (CDU): Mehr Disziplin und Deutlichkeit in der Artikulation und
weniger Behäbigkeit in der Rede! "Die Sprache ist gleichsam der Leib
des Denkens." Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Gerhard Schröder (SPD): Nicht zuviel rhetorisches Kalkül
einsetzen! "Beredsam ist, wer, selbst ohne es zu wollen, mit seiner Überzeugung
oder Leidenschaft Geist und Herz anderer erfüllt." Marquis de Vauvenargues,
franz. Philosoph
Wolfgang Schäuble (CDU): Einfachere Satzkonstruktionen und
mehr Bewusstsein für eine korrekte Aussprache. "Wer mit Angewohnheiten
des Dialekts zu kämpfen hat, halte sich an die allgemeinen Regeln
der deutschen Sprache." J.W. von Goethe
Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen): Mehr Disziplin
und leisere Töne vor den Mikrofonen! "Einen guten Redner erkennt man
daran, dass er das Pedal sparsam gebraucht." Edward Heath, engl. Premierminister
(1970-1974)
Oskar Lafontaine (SPD): Mehr Bescheidenheit und Gelassenheit im
Redevortrag! "Sprüche lassen sich leichter klopfen als Steine." Karl
Garbe, dt. Satiriker
Theo Waigel (CSU): Die Reden nicht zu lang gestalten! "Es ist keine
Kunst, etwas kurz zu sagen, wenn man etwas zu sagen hat." Georg Christoph
Lichtenberg
Wolfgang Gerhardt (FDP): Kürzere, temperamentvollere Vorträge
sind überzeugender! "Eine gute Rede soll das Thema erschöpfen,
nicht die Zuhörer." Sir Winston Churchill
Norbert Blüm (CDU): Nicht zu oft witzige Formulierungen prägen
wollen! "Der Witz ist das einzig Ding, das um so weniger gefunden wird,
je eifriger man es sucht." Friedrich Hebbel
|
|