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> Der Garten der Frauen: Erinnern ist ein Stück Leben

Pompöse Statuen, die an berühmte Männer erinnern, kennt jeder. Aber wo stehen die Denkmäler der Frauen? Das Andenken an bedeutende Frauen der Geschichte wird schlecht gewahrt. Vor zwei Jahren hat sich das geändert. Im "Garten der Frauen" auf dem Hamburger Friedhof Ohlsdorf werden Brücken der Erinnerung gebaut. Das Konzept aus musealer Gedenk- und Begräbnisstätte ist einmalig in Europa.


Gisela Bach beugt sich näher an die "Steine der Erinnerung" und liest ihrer Freundin Ingrid Lindner drei Namen vor. "Die sind schon länger tot. 1933. Opfer des Nationalsozialismus." Die beiden 65jährigen Frauen kommen regelmäßig auf den Ohlsdorfer Friedhof. Heute steht der "Garten der Frauen" auf ihrem Programm. Gisela Bach wirft einen Blick auf die Kurzbiografien, die auf Aluminiumtafeln in einem Ringbuch neben den Steinen zusammengefasst sind. Die Namen allein sagen ihr nichts.

In einem triangelförmigen Kiesbett am Ende des Gartens, der von lila blühenden Rhododendren-Büschen umsäumt ist, stehen drei Erinnerungssteine. Sie deuten die erste Krümmung einer Spirale an. Die Steine erinnern an Frauen, die keinen Grabstein mehr haben. Clémence Budow (1908-1995) ist eine von ihnen. Sie produzierte die erste Frauenfunksendung bei der NORAG, war Chefredakteurin einer Hausfrauenzeitung und engagierte Frauenpolitikerin. "Ich freue mich, dass wir Clémence Budow auf diese Weise ehren können", sagt Helga Diercks-Norden, die selbst Auslandskorrespondentin in Südostasien war und in Clémence Budow eine Mentorin hatte.

Vor zwei Jahren haben Helga Diercks-Norden und die Historikerin Dr. Rita Bake den "Garten der Frauen" ins Leben gerufen - eine Gedenkstätte, auf der alte Grabsteine bedeutender Frauen gesammelt werden. "Hier in Ohlsdorf liegen über eine Millionen Frauen", informiert Rita Bake.

Dr. Rita Bake und Helga Diercks-Norden

Die Vorstandsmitglieder Dr. Rita Bake und Helga Diercks-Norden im "Garten der Frauen"

Dr. Rita Bake und Helga Diercks-Norden

"Viele haben Hamburgs Geschichte mit geprägt, aber die Erinnerung an sie wird kaum gepflegt." Rita Bake weiß, wovon sie redet, denn sie hat in ihrem Buch "Stadt der toten Frauen" 127 Frauen portraitiert, die auf dem Ohlsdorfer Friedhof begraben sind. Bei der Recherche wurde schnell klar, dass das Nutzungsrecht vieler Grabstellen abgelaufen war. "Wenn niemand für die Kosten der Verlängerung aufkommt, werden die Gräber geräumt und die Grabsteine zu Straßenpflaster geschreddert", erklärt Rita Bake. "Mit den Grabsteinen verschwinden oft die letzten sichtbaren Spuren dieser Frauen. Dagegen wollten wir angehen."

Helga Diercks-Norden und Rita Bake sind ein schwungvolles Team in Sachen Frauengedenken. Sie gründeten einen Verein und gewannen die Verwalter des Friedhofs für ihre Idee. Die wiesen den Frauen ein rechteckiges Rasengrundstück in der Nähe des alten Wasserturms an der Cordes-Allee zu. "Wir waren findig", strahlt Helga Diercks-Norden. Im Haushalt der Umweltbehörde machten sie den Posten "Friedhofsgrün" aus und gewannen die Hamburger Bürgerschaftsfraktionen für ihren Antrag auf Zuschuss. "Das war unsere Startfinanzierung", sagt Rita Bake.

Seitdem bestreitet der Verein seine laufenden Kosten aus den Mitgliedsbeiträgen von 62 Euro im Jahr und dem Verkauf von Grabstellen an Frauen, die damit zu Mäzeninnen des historischen Teils werden. Gelegentliche Sponsorengelder ergänzen das Budget. Noch wichtiger aber ist das große Engagement der mittlerweile 146 Mitglieder. Am alten Wasserturm - dem Wahrzeichen des Vereins - sitzen jeden Sonntag zwei bis drei Frauen und laden zur "Info-Tafel der besonderen Art" ein. Sie reichen selbstgebackenen Kuchen und Kaffee und plauschen mit interessierten Besuchern über berühmte Hamburgerinnen.

Birgit Marzahn bei der Gartenarbeit

Birgit Marzahn aus der Gieß- und Gartengruppe beim Unkraut jäten.

Gleich daneben liegt der "Garten der Frauen". Hier kümmern sich die Mitglieder der Gieß- und Gartengruppe derweil ums Wässern und Jäten der Blumenrabatten. Bis zu drei Mal die Woche kommen sie zur Gartenpflege.

Birgit Marzahn (60) sitzt vor einem Blumenbeet mit Grabsteinen und zupft Unkraut. "Sie glauben gar nicht, was für ein tolles Gefühl es ist, seine eigene Grabstelle zu kaufen", sagt sie. "Hier weiß ich, dass ich begossen werde." Sie wirft einen prüfenden Blick auf das Beet, an dem sie gerade gearbeitet hat, und schlendert mit Harke und Schaufel zu Angelika Meinert (52). Beide sind Mitglied im Verein "Garten der Frauen". Beide haben eine Grabstätte im Garten erworben und sind damit Mäzeninnen für den Erhalt der historischen Grabsteine geworden.

"Ja, Gärten und Kinder sind es, um die es sich lohnt zu leben", schrieb die Reformpädagogin, Schriftstellerin und Rosenspezialistin Alma de l'Aigle (1889-1959). Nach ihr wurde eine Rose benannt, die auch im "Garten der Frauen" gepflanzt ist. "Wir haben bewusst auf klingende Namen geachtet", sagt Rita Bake. Tränende Herzen, blaue Himmelsleitern, Vergissmeinnicht, Frauenmantel und Männertreu blühen zwischen den Grabsteinen. Der Garten ist mit viel Liebe zum Detail angelegt. Zwei viktorianische Torbögen an den Flanken der Anlage sorgen für den Gartencharakter. In der Mitte des Gartens steht der "Brunnen des Lebens". Ihn ziert ein Fries aus dem Neolithikum, der die Spirale des immer wiederkehrenden Lebens darstellt.

Grabstein Annie Kalmar

Der von Karl Kraus gestiftete Gedenkstein für Annie Kalmar im "Garten der Frauen" auf dem Ohlsdorfer Friedhof

Die historischen Grabsteine sind in Gruppen geordnet.Am Eingangsrund des Gartens fällt der zwei Meter hohe Gedenkstein für Annie Kalmar (1877-1901) ins Auge. Ihr marmorweißes Ebenbild ist wie ein steinernes Foto auf den hellgrauen Granit montiert. Den Grabstein hat der Wiener Schriftsteller Karl Kraus gestiftet, der die Schauspielerin sein Leben lang verehrte.

Zwei ältere Frauen, blau geblümt mit grauem Kurzhaarschnitt, stehen vor Bertha Keysers Grabplatte. "Die hat viel Gutes getan", murmelt die eine vor sich hin. Bertha Keyser (1868-1964) gründete ein eigenes Missionswerk und kümmerte sich um Straßenkinder, Obdachlose und Prostituierte. "Dort liegen immer frische Blumen, auch heute noch, nach vierzig Jahren", sagt Rita Bake.

Eine Grabsteingruppe weiter blättert eine junge Frau mit Strohhut und knallorangem Trägertop in einem der metallenen Ringbücher. Sie hat die Biografie der Bildhauerin Leonore (Lola) Toepke geb. Simon (1891-1941) aufgeschlagen. "Was mich interessieren würde, ist, wer die Auswahl trifft", sagt Kaija Dehnkamp (30), die das Grab ihres Vaters besucht hat und nun auf einen Abstecher in den "Garten der Frauen" gekommen ist. Sie hatte gehofft, den Grabstein einer Sultanstochter aus Sansibar zu finden, die in Ohlsdorf beerdigt sein soll. "Die war zwar nicht engagiert, aber hatte einen interessanten Lebenslauf."

Die beiden Vorstandsmitglieder Rita Bake und Helga Diercks-Norden sehen sich nachdenklich an. "Also, im Grunde genommen ist das Ganze ein Zufallsprojekt", beginnt Rita Bake. "Das hat sich einfach so ergeben." Helga Diercks-Norden greift den Faden auf: "Grundlage ist natürlich Ritas Buch.

Grabstein Mutter Veldkamp

Grabstein von Mutter Veldkamp

Wir recherchieren ständig weiter. Und wir freuen uns über jeden Tipp." Immer häufiger werden sie von Verbänden angesprochen oder von Besuchern des Gartens auf interessante Frauen aufmerksam gemacht. "Mutter Veldkamp. Weißt du noch. Wir wussten gar nicht, wer das war", fällt Helga Diercks-Norden spontan wieder ein. Ein Aufruf in einer Hamburger Zeitung hat in diesem Fall weitergeholfen. Das Vereinstelefon stand ein paar Tage nicht mehr still. Über zwanzig Hamburger meldeten sich, einschließlich der alten Haushälterin von Mutter Veldkamp.
Mutter Veldkamp erhielt ihren Namen, weil sie Waisenkinder finanziell unterstützte. Das Geld dazu verdiente sie mit ihrem Café Veldkamp auf dem Hamburger Dom, das mit 1200 Sitzplätzen etwa der Größe des heutigen Bayern-Festzelts entsprach. Ihre Familie kam aus Groningen. Daran erinnert die holländische Trachtenhaube, mit der das Konterfei von Mutter Veldkamp in den weißen Stein gemeißelt ist.

Zehn Schritte weiter wird Gerda Gmelins Grabstein stehen. Der Steinmetz arbeitet noch daran, aber ihre Kurzbiografie ist schon auf einer Tafel in eines der Ringbücher geheftet. Die Schauspielerin, Regisseurin und Prinzipalin des Theaters im Zimmer ist im April dieses Jahres gestorben. Sie wollte im "Garten der Frauen" beigesetzt werden.

Gedenktafeln

Ringbuch mit Kurzbiografien bekannter Hamburger Frauen

Über ihrer Urne wächst bereits ihre Lieblingsblume, eine Othello-Rose. Auch Gerda Gmelin hat zu Lebzeiten eine Grabstelle im "Garten der Frauen" erworben und wurde damit zur Mäzenin des historischen Teils, zu dem sie nun selbst gehört.

Man muss nicht berühmt sein, um hier begraben zu werden. Der "Garten der Frauen" ist museale Gedenkstätte, aber auch letzte Ruhestätte für Frauen, die zusammen mit anderen Frauen bestattet werden wollen. "Wir haben die Idee der Gemeinschaftsgräber wieder aufleben lassen", sagt Rita Bake. Hundert Sarg- und Urnenplätze standen zum Verkauf. Die Nachfrage nach den gemeinsamen Grabstellen war so groß, dass der Verein nur noch Urnenplätze für 1280 Euro anbieten kann. Für die Erinnerung an die Toten zu sorgen und selbst in einer Gemeinschaft bestattet zu werden, reizt viele Frauen. "Wie schön, dass ich jetzt weiß, wo ich wohnen werde", gibt Helga Diercks-Norden eine alte Dame wieder, die Mäzenin des Gartens geworden ist.

Auch Ingrid Lindner liebäugelt mit einer Bestattung im "Garten der Frauen". Sie hat eine Bekannte, die hier eine Grabstätte gekauft hat. "Mir war das bisher zu teuer." Dann zwinkert sie und lacht: "Aber meine Bekannte sagt, auf ihrem Grabstein sei noch Platz für eine Urne." Gisela Bach und Ingrid Lindner haben ihren Erkundungsrundgang beendet. Sie sitzen auf einer weiß gestrichenen Bank und genießen die heitere Gelassenheit des Gartens, in dem Erinnern und Tod selbstverständlich ineinander übergehen. Sie wollen wiederkommen.

  • "Info-Tafel der besonderen Art", ab April jeden Sonntag von 14:00 - 17:00 Uhr. Adresse: Ohlsdorfer Friedhof beim historischen Wasserturm an der Cordesallee. Tel. 040/560 44 62
  • www.garten-der-frauen.de
  • Buch: Rita Bake, Brita Reimers "Stadt der toten Frauen", 1997, Dölling & Galitz; "So lebten sie!", 2003, Christians



 
 

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© nicole zöllner phone (040) 500 187 44 e-mail: zoellner@das-triffts.de

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