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> Wenn die Katze zum Hund wird ...
Schlaganfall und Aphasie
Sprechen ist für uns fast wie Ein- und Ausatmen. Wir denken kaum darüber
nach. Wir tun es einfach. Allenfalls fragen wir uns, ob wir etwas besser oder
exakter hätten sagen können. Sprachlos sind wir höchstens im
Urlaub, wenn wir zu den Lappen oder den Chinesen reisen.
Und nun stellen Sie sich vor, Sie verlieren von heute auf morgen Ihre Sprache.
Zwar können Sie verstehen, was man zu Ihnen sagt. Sie möchten darauf
antworten, aber * Sie finden keine Wörter. Sie wissen nicht mehr, wie man "Ich
möchte Milch in meinen Kaffee" sagt oder "Der Elektriker hat angerufen.".
Sie meinen 'Bus' und sagen 'Taxi'. Statt "Ich grabe im Garten" kommt aus Ihrem
Mund "Ich graufel im Garten", denn die Assoziation "Schaufel" geriet versehentlich
mit in den Spracherzeugungsprozeß. Schlimmstenfalls können Sie nicht
mehr richtig lesen, nicht mehr schreiben, nicht mehr rechnen und was Sie sagen,
versteht auch niemand. In der Fachsprache bezeichnet man diesen Zustand als Aphasie.
Aphasie (griech. "ohne Sprechen") ist eine neurologisch bedingte Störung,
die infolge einer Schädigung des Gehirns, speziell der linken Gehirnhälfte,
auftritt. Auf dieser Seite ist in der Regel das Sprachzentrum des Menschen angesiedelt.
Auslöser für eine Aphasie können Hirnentzündungen, Hirntumore,
Hirngefäßerkrankungen oder Schädelverletzungen sein. Häufigste
Ursache aber ist der Schlaganfall. Rund 30 Prozent aller Personen, die einen
Schlaganfall überleben, leiden zumindest vorübergehend an einer Aphasie.
Allein in Hamburg betrifft dies jährlich etwa 1 000 Menschen.
Einer davon ist Herr Zeyse. Vor drei Jahren überraschte den Fuhlsbüttler
ein Schlaganfall im Schlaf. Nicht nur seine rechte Körperhälfte war
gelähmt, auch sein Sprachzentrum war durch den Verschluß eines Blutgefäßes
vorübergehend nicht versorgt worden. Für Herrn Zeyse begann ein langer,
mühevoller Weg, seine eigene Muttersprache wieder zu erlernen. Daß er
heute überhaupt so gut sprechen kann, verdankt er seiner Geduld, einer langjährigen
Sprachtherapie und dem engagierten Einsatz seiner Ehefrau.
Durch die Hirnschädigung sind das Sprachverständnis und die Sprachproduktion
gestört. Da die Hirnreifung beim Erwachsenen bereits abgeschlossen ist,
fällt es dem Aphasiker sehr schwer, die verlorene Sprache wieder zu erwerben.
Bei diesem Lernprozeß benötigt er unbedingt eine logopädische
Behandlung. Je früher mit der Therapie begonnen wird (möglichst schon
24 Stunden nach dem Schlaganfall), desto größer sind die Chancen,
daß sich das in Mitleidenschaft gezogene Zellgewebe im Sprachzentrum regeneriert.
Dennoch bleiben bei etwa einem Drittel der Aphasiker deutliche Sprachstörungen
zurück. Für viele ist eine Rückkehr in den Beruf auch nach Jahren
der Therapie schwierig bis unmöglich.
Die aphasischen Sprachstörungen werden in vier Hauptformen unterschieden.
Die leichteste Form äußert sich in Wortfindungsstörungen bei
gut erhaltenem Redefluß und intaktem Satzbau. Ein sogenannt amnestischer
Aphasiker würde zum Beispiel sagen: "Ich kann schon wieder ganz gut
schreiben, auf ... auf ... dem, na, Sie wissen schon, auf dem Dingsda, mit den
Fingern tippen ..."
Die motorische Aphasie (auch Broca-Aphasie genannt) ist mit erheblich
verlangsamtem Sprachfluß und schlechter Aussprache verbunden. Leitsymptom
ist der "Telegrammstil". Statt "Wir fahren morgen in den Urlaub" würde ein
motorischer Aphasiker beispielsweise "Fahren ... Urlaub" sagen.
Bei der sensorischen Aphasie (oder Wernicke-Aphasie) ist der Sprachfluß zwar
gut erhalten, aber teilweise inhaltsleer. Die Sätze sind verschachtelt,
bestimmte Wörter und Floskeln werden häufig wiederholt und die Bedeutung
der Wörter ist nicht immer zu entschlüsseln. Auf die Frage nach seinen
Beschwerden würde ein sensorischer Aphasiker ungefähr so antworten: "Na
ich muß mal anders, ich glaube man sollte bei Null beginnen und nicht oben.
Es ist so: gegenüber früher möchte ich erst einmal sagen über
den ganz großen Beginn erst mal als ich ankam ist es natürlich ganz
entschieden ... eh ... ein Unterschied ... heute besser als früher, sollen
gar nicht darüber debattieren."
Die schwerste Form ist die globale Aphasie. Sie macht eine sprachliche
Kommunikation nahezu unmöglich und ist gekennzeichnet durch Sprachautomatismen.
Auf die Frage, was bei seinem Schlaganfall passierte, antwortete ein Patient: "Ja
Mensch ... nee ... ach Quatsch ... hier und hier und hier (wobei er auf die gelähmte
rechte Seite zeigt).
In der Sprachtherapie lernen Aphasiker, wie sie sich wieder verständlich
machen können, notfalls auch mit Mimik, Gestik und Zeichenstift. Dabei werden
nicht wie im Fremdsprachenunterricht möglichst viele Vokabeln eingepaukt.
Das Sprachwissen ist noch da, aber die Abrufung ist blockiert. Mit Hilfe der
Sprachübungen wird versucht, die Blockade zumindest teilweise zu überbrücken
und die Spracherzeugungsprozesse anzuregen. Unglücklicherweise haben die
meisten Menschen von Aphasie noch nie etwas gehört, wissen nicht, wie sie
damit umgehen sollen und finden kaum Anlaufstellen, die eine gründliche
Beratung und Schulung aller Betroffenen anbieten. So wird das fehlende Wissen über
Aphasie zum größten Problem der Aphasiker.
Auf diesem Gebiet leistet der von der Hamburger Neurolinguistin Dr. Louise Lutz
gegründete Förderkreis Aphasie e.V. immer noch Pionierarbeit.
Der Förderkreis hat sich zur Aufgabe gemacht, Aphasiker und deren Angehörige,
Bezugspersonen oder Freunde sachkundig zu beraten. Seit Oktober 1994 hat der
Verein ein Aphasie-Beratungs-Telefon eingerichtet, das jeden Mittwoch
von 17.00 bis 19.00 Uhr unter der Nummer 5581 - 1861 zu erreichen ist. In dringenden
Fällen können Sie sich auch direkt an die 1. Vorsitzende des Vereins,
Frau Hannelore Zeyse, wenden unter der Telefonnummer 50 44 30. Bei Herrn und
Frau Zeyse erhalten sie außerdem Auskunft über den
Landesverband der Aphasiker Selbsthilfe e.V., der mit drei Gruppen in Hamburg vertreten
ist (Hamburg-Nord, Hamburg-Mitte, Altona).
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